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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH LUXEMBURG UND BELGIEN 
(26.-29. September 2024)

BEGEGNUNG MIT BISCHÖFEN, PRIESTERN, DIAKONEN, ORDENSLEUTEN,
SEMINARISTEN UND PASTORALARBEITERN 

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS 

Herz-Jesu-Basilika auf dem Koekelberg
Samstag, 28. September 2024

[Multimedia]

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Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!

Ich freue mich, hier bei euch zu sein. Ich danke Erzbischof Terlinden für seine Worte und dafür, dass er uns an die Vorrangigkeit der Verkündigung des Evangeliums erinnert hat. Ich danke euch allen.

An diesem Knotenpunkt, den Belgien darstellt, seid ihr eine Kirche „in Bewegung“. Ihr versucht nämlich seit einiger Zeit, die Pfarreistruktur neu zu gestalten und der Ausbildung der Laien einen starken Impuls zu geben; vor allem bemüht ihr euch darum, eine Gemeinschaft zu sein, die nahe bei den Menschen ist, die Menschen begleitet und mit Gesten der Barmherzigkeit Zeugnis ablegt.

Ausgehend von euren Fragen möchte ich euch einige Denkanstöße zu drei Begriffen geben: Evangelisierung, Freude, Barmherzigkeit.

Der erste Weg, der zu beschreiten ist, ist die Evangelisierung. Die Veränderungen unserer Zeit und die Glaubenskrise, die wir im Westen erleben, haben uns dazu veranlasst, uns wieder auf das Wesentliche zu besinnen, nämlich auf das Evangelium, damit die gute Nachricht, die Jesus in die Welt gebracht hat, wieder allen verkündet wird und in ihrer ganzen Schönheit erstrahlt. Die Krise – jede Krise – ist eine Zeit, die uns gegeben ist, damit wir aufgerüttelt werden, uns Fragen stellen und uns verändern. Sie ist eine kostbare Gelegenheit – in der Sprache der Bibel kairòs genannt, eine besondere Gelegenheit, so wie es Abraham, Mose und den Propheten ergangen war. Wenn wir Trostlosigkeit verspüren, müssen wir uns nämlich immer fragen, welche Botschaft der Herr uns vermitteln will. Und was zeigt uns die Krise? Wir haben uns von einem Christentum, das in einem gastlichen gesellschaftlichen Rahmen angesiedelt war, zu einem „Minderheitschristentum“, oder besser, zu einem Christentum des Zeugnisses entwickelt. Dies erfordert den Mut zu einer kirchlichen Umkehr, um jene pastoralen Transformationsprozesse in Gang zu setzen, die auch die Gewohnheiten, die Stile, die Ausdrucksweisen des Glaubens betreffen, damit sie wirklich im Dienst der Evangelisierung stehen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 27).

Und ich möchte Helmut sagen: Dieser Mut wird auch von den Priestern verlangt. Priester zu sein, die nicht einfach ein Erbe aus der Vergangenheit bewahren oder verwalten, sondern Seelsorger, Seelsorger, die Christus lieben und die darauf achten, die – oft impliziten – Fragen des Evangeliums zu erfassen, während sie mit dem heiligen Volk Gottes gehen; und wir gehen ein bisschen an der Spitze, ein bisschen in der Mitte und ein bisschen am Schluss. Und wenn wir das Evangelium bringen – ich denke an das, was Yaninka uns gesagt hat – dann öffnet der Herr unsere Herzen für die Begegnung mit denen, die anders sind als wir. Es ist schön, ja notwendig, dass es unter den Jugendlichen unterschiedliche Träume und Spiritualitäten gibt. Das muss auch so sein, denn es kann viele persönliche oder gemeinschaftliche Wege geben, die uns aber zu demselben Ziel führen, zur Begegnung mit dem Herrn: In der Kirche ist Platz für alle – alle, alle! – und keiner muss eine Fotokopie des anderen sein. Die Einheit in der Kirche ist nicht Gleichförmigkeit, sondern sie besteht darin, Harmonie in der Vielfalt zu finden! Und ich möchte auch Arnaud sagen: Der synodale Prozess muss eine Rückkehr zum Evangelium sein; er darf nicht irgendeine „modische“ Reform unter seine Prioritäten aufnehmen, sondern er muss fragen: Was können wir tun, damit das Evangelium in einer Gesellschaft ankommt, die nicht mehr darauf hört oder sich vom Glauben entfernt hat? Diese Frage sollten wir uns alle stellen.

Zweiter Weg: die Freude. Wir sprechen hier nicht von den Freuden des Augenblicks, noch können wir die Modelle des Eskapismus und des konsumorientierten Vergnügens empfehlen. Wir sprechen von einer größeren Freude, die das Leben auch in dunklen oder schmerzhaften Momenten begleitet und trägt, und das ist ein Geschenk, das von oben kommt, von Gott. Es ist die Freude des Herzens, die durch das Evangelium geweckt wird: es ist die Gewissheit, dass wir auf unserem Weg nicht allein sind und dass Gott auch in Situationen der Armut, der Sünde, der Bedrängnis nahe ist, dass er sich unser annimmt und dem Tod nicht das letzte Wort überlässt. Gott ist nahe, er ist Nähe. Lange bevor er Papst wurde, schrieb Joseph Ratzinger, dass dies eine Regel der Unterscheidung sei: »Wo Freudlosigkeit ist, wo der Humor stirbt, da ist der Heilige Geist […] gewiss nicht. Umgekehrt: Freude ist ein Zeichen der Gnade« (Der Gott Jesu Christi, Betrachtungen über den Dreieinigen Gott, München 1976, 188). Das ist schön!  Und so möchte ich euch sagen: Mögen eure Predigten, eure Gottesdienste, euer Dienen und euer Apostolat die Freude des Herzens durchscheinen lassen, denn diese weckt Fragen und zieht auch diejenigen an, die fernstehen. Die Freude des Herzen:  nicht dieses aufgesetzte Lächeln des Augenblicks, sondern die Freude des Herzens. Ich danke Schwester Agnes und sage ihr: Die Freude ist der Weg. Wenn die Treue schwierig erscheint, müssen wir – wie du gesagt hast, Agnes – zeigen, dass sie ein „Weg zum Glück“ ist. Und dann, wenn man sieht, wohin der Weg führt, ist man eher bereit, sich auf den Weg zu machen.

Und der dritte Weg: die Barmherzigkeit. Wenn das Evangelium angenommen und geteilt, empfangen und weitergegeben wird, führt es uns zur Freude, weil es uns entdecken lässt, dass Gott der Vater der Barmherzigkeit ist, der mit uns mitempfindet, der uns in unseren Niederlagen wiederaufrichtet und der seine Liebe zu uns niemals zurücknimmt. Prägen wir das unseren Herzen ein: Gott zieht seine Liebe zu uns nie zurück. „Aber Vater, auch dann nicht, wenn ich etwas Schwerwiegendes begangen habe?“ Niemals zieht Gott seine Liebe zu dir zurück. Das kann uns angesichts der Erfahrung des Bösen manchmal „ungerecht“ erscheinen, weil wir einfach die irdische Gerechtigkeit anwenden, die sagt: „Wer Unrecht tut, muss dafür bezahlen“. Gottes Gerechtigkeit ist jedoch geht weit darüber hinaus: Wer sich verfehlt hat, soll für seine Fehler Wiedergutmachung leisten, aber er braucht Gottes barmherzige Liebe, um in seinem Herzen wieder heil zu werden. Vergesst nicht: Gott vergibt alles und Gott vergibt immer und mit seiner Barmherzigkeit rechtfertigt Gott uns, das heißt, er macht uns gerecht, weil er uns ein neues Herz, ein neues Leben schenkt.

Daher möchte ich Mia sagen: Danke für die großartige Arbeit, die ihr leistet, um Wut und Schmerz in Hilfe, Nähe und Mitgefühl zu verwandeln. Missbrauch verursacht furchtbares Leid und Wunden und bedroht auch den Glaubensweg. Und es braucht sehr viel Barmherzigkeit, so dass wir nicht mit einem Herz aus Stein vor dem Leid der Opfer verharren; damit wir ihnen unsere Nähe zeigen und ihnen jede mögliche Hilfe anbieten können; damit wir von ihnen lernen – wie du gesagt hast – eine Kirche zu sein, die sich zur Dienerin aller macht, ohne irgendjemanden zu knechten. Ja, denn eine Wurzel der Gewalt liegt im Missbrauch von Macht, wenn wir die Funktionen, die wir innehaben, dazu benutzen, andere zu erdrücken oder zu manipulieren.

Und Barmherzigkeit – ich denke an den Dienst von Pieter – ist ein Schlüsselwort für die Gefangenen. Wenn ich ein Gefängnis betrete, frage ich mich: Warum sie und nicht ich? Jesus zeigt uns, dass Gott nicht auf Distanz geht zu unseren Wunden und Unreinheiten. Er weiß, dass wir alle Fehler machen können, aber niemand ist ein Fehler. Keiner ist für immer verloren. Es ist also richtig, alle Wege der irdischen Gerechtigkeit zu beschreiten und auch die menschlichen, psychologischen und strafrechtlichen Wege zu gehen; aber die Strafe muss eine Medizin sein, sie muss zur Heilung führen. Den Menschen muss geholfen werden, wieder aufzustehen und ihren Weg im Leben und in der Gesellschaft zu finden. Nur einmal im Leben aller ist es uns erlaubt, auf jemanden herabzublicken: um ihm wieder aufzuhelfen. Nur so.  Erinnern wir uns: Wir alle können Fehler machen, aber niemand ist ein Fehler, niemand ist für immer verloren. Barmherzigkeit, immer, immer Barmherzigkeit.

Schwestern und Brüder, ich danke euch. Und bei meiner Verabschiedung möchte ich ein Werk von Magritte, eurem berühmten Maler, in Erinnerung rufen, das den Titel „Der Akt des Glaubens“ trägt. Es zeigt eine Tür, die von innen verschlossen, aber in der Mitte durchbrochen und zum Himmel hin offen ist. Dieser Spalt lädt uns ein, über uns hinauszugehen, unseren Blick nach vorne und nach oben zu richten, uns niemals ins uns selbst zu verschließen, niemals in uns selbst. Dieses Bild möchte ich euch mitgeben als Symbol für eine Kirche, die ihre Türen nie verschließt, – bitte, die niemals die Türen verschließt! – die jedem eine Öffnung ins Unendliche anbietet, die es versteht, weiter zu blicken. Das ist die Kirche, die evangelisiert, die die Freude des Evangeliums lebt und Barmherzigkeit übt.

Schwestern und Brüder, geht gemeinsam, ihr und der Heilige Geist, gemeinsam, und übt die Barmherzigkeit, damit ihr so Kirche seid. Ohne den Geist geschieht nichts Christliches. Das lehrt uns die Jungfrau Maria, unsere Mutter. Sie führe euch und bewahre euch. Ich segne euch alle von Herzen. Und bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Danke!



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