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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 1. Mai 1996

Heute ist der 1. Mai: ein Tag, der an vielen Orten der Welt der menschlichen Arbeit gewidmet ist. Die Kirche gedenkt an diesem Tag der Arbeit in Nazareth, wo an der Seite Josefs, des Handwerkers, Jesus selbst jahrelang gearbeitet hat. Wir wollen für alle beten, die Verantwortung für die Arbeit des Menschen tragen, für alle Arbeitenden der Welt, für die menschliche Arbeit in all ihren Formen. Immer gedenke ich der Enzyklika „Laborem exercens“, meiner ersten Sozialenzyklika, die sich mit diesem großen Problem befasst. Heute ist der erste Tag des Monats Mai – des Monats, der ganz der Verehrung Marias gewidmet ist: Eine große Marienverehrung ist mit dem Monat Mai verbunden. Und so erklärt sich auch das Thema der heutigen Katechese: ein marianisches Thema zur Fortsetzung der mariologischen Katechesen, die in den letzten Monaten gegeben wurden.

1. Im Augenblick der Verkündigung wird Maria, die „erhabene Tochter Zion“ (Lumen Gentium, Nr. 55), vom Engel als Stellvertreterin der Menschheit gegrüßt, die berufen ist, ihre Zustimmung zur Menschwerdung des Sohnes Gottes zu geben.

Das erste Wort, das der Engel an sie richtet, ist eine Einladung zur Freude: „chaire“, das heißt „freu dich!“. Das griechische Wort wurde in das lateinische „Ave“ übersetzt, einen einfachen Gruß, der den Absichten des Boten Gottes und dem Kontext, in dem die Begegnung verläuft, nicht ganz zu entsprechen scheint. Gewiss war „chaire“ auch eine bei den Griechen gebräuchliche Grußform, aber die außerordentlichen Umstände, unter denen sie ausgesprochen wird, sind weit entfernt von der Atmosphäre einer gewöhnlichen Begegnung. Denn wir dürfen nicht vergessen: Der Engel weiß, dass er eine in der Menschheitsgeschichte einmalige Botschaft bringt. Deshalb wäre ein einfacher, gewöhnlicher Gruß unangebracht. Dem außerordentlichen Umstand angemessener scheint also der Bezug auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „chaire“: „Freu dich!“.

Wie die griechischen Kirchenväter häufig hervorhoben, indem sie verschiedene Prophetensprüche zitierten, passt die Einladung zur Freude besonders gut zur Botschaft von der Ankunft des Messias.

2. Man denkt vor allem an den Propheten Zefanja. Der Text der Verkündigung weist eine große Ähnlichkeit mit seiner Verheißung auf: „Juble, Tochter Zion! Jauchze, Israel! Freu dich und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem!“ (Zef 3,14). Sie enthält die Einladung zur Freude: „Frohlocke von ganzem Herzen“ (ebd.). Sie enthält den Hinweis auf die Gegenwart des Herrn: „Der König Israels, der Herr, ist in deiner Mitte“ (ebd. 3,15). Sie enthält die Aufforderung, sich nicht zu fürchten: „Fürchte dich nicht, Zion! Lass die Hände nicht sinken“ (ebd. 3,16). Und sie enthält auch die Verheißung des heilbringenden Eingreifens Gottes: „Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt“ (ebd. 3,17). Die Parallelen sind so zahlreich und exakt, dass sie leicht in Maria die neue „Tochter Zion“ erkennen lassen, die guten Grund hat, sich zu freuen, weil Gott beschlossen hat, seinen Heilsplan zu verwirklichen.

Eine ähnliche Aufforderung zur Freude, wenn auch in einem anderen Kontext, kommt von der Prophetie Joels: „Fürchte dich nicht, fruchtbares Land! Freu dich und juble, denn der Herr hat Großes getan … Dann werdet ihr erkennen, dass ich mitten in Israel bin“ (Joel 2,21.27).

3. Bedeutungsvoll ist auch der Spruch von Sacharja, der bei Jesu Einzug in Jerusalem zitiert wird (vgl. Mt 21,5; Joh 12,15). Dort wird die Ankunft des messianischen Königs als Grund zur Freude betrachtet: „Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig … Er verkündet für die Völker den Frieden“ (Sach 9,9–10).

Das Buch Jesaja leitet schließlich aus der zahlreichen Nachkommenschaft, dem Zeichen göttlichen Segens, die Botschaft der Freude für das neue Zion ab: „Freu dich, du Unfruchtbare, die nie gebar, du, die nie in Wehen lag, brich in Jubel aus und jauchze! Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr“ (Jes 54,1).

Die drei Gründe der Einladung zur Freude – die heilbringende Gegenwart Gottes unter seinem Volk, die Ankunft des messianischen Königs und die unverhoffte, reiche Fruchtbarkeit – finden in Maria ihre volle Verwirklichung. Sie rechtfertigen die inhaltsschwere Bedeutung, die die Tradition dem Gruß des Engels beimisst. Als dieser sie einlud, ihre Zustimmung zur Verwirklichung der messianischen Verheißung zu geben, indem er ihr die höchste Würde der Mutter des Herrn ankündigte, konnte er nicht umhin, sie aufzufordern, sich zu freuen. Denn wie das Konzil betont, „mit ihr als der erhabenen Tochter Zion ist schließlich nach langer Erwartung der Verheißung die Zeit erfüllt und (hat) die neue Heilsökonomie begonnen, als der Sohn Gottes die Menschennatur aus ihr annahm, um durch die Mysterien seines Fleisches den Menschen von der Sünde zu befreien“ (Lumen Gentium, Nr. 55).

4. Der Bericht über die Verkündigung erlaubt uns, in Maria die neue „Tochter Zion“ zu erkennen, die von Gott zu großer Freude aufgefordert wird. Er bringt ihre außerordentliche Rolle als Mutter des Messias, ja Mutter des Sohnes Gottes, zum Ausdruck. Die Jungfrau empfängt die Botschaft im Namen des Volkes Davids, aber wir dürfen sagen, dass sie diese im Namen der ganzen Menschheit empfängt, denn das Alte Testament dehnte die Rolle des Messias auf alle Nationen aus (vgl. Ps 2,8; 72,8). Der göttlichen Absicht nach sollte die an sie gerichtete Botschaft auf das universale Heil abzielen.

Als Beweis für diese universale Ausrichtung des göttlichen Plans können wir uns einige Texte des Alten und des Neuen Testamentes in Erinnerung rufen, die das Heil mit einem großen Festmahl aller Völker auf dem Berg Zion vergleichen (vgl. Jes 25,6 f.) und das endgültige Hochzeitsmahl des Reiches Gottes ankündigen (vgl. Mt 22,1–10). Als „Tochter Zion“ ist Maria die Jungfrau des Bundes, den Gott mit der ganzen Menschheit schließt. Marias stellvertretende Rolle bei diesem Geschehen ist klar. Und es ist bedeutungsvoll, dass gerade eine Frau eine solche Aufgabe übernimmt.

5. Maria ist als neue „Tochter Zion“ in der Tat besonders geeignet, den bräutlichen Bund mit Gott zu schließen. Mehr und besser als irgendein Glied des auserwählten Volkes vermag sie dem Herrn das wahre Herz einer Braut anzubieten.

Durch Maria ist die „Tochter Zion“ kein gemeinschaftliches Subjekt mehr, sondern eine Person, die die Menschheit vertritt und im Augenblick der Verkündigung auf das Angebot der göttlichen Liebe mit der eigenen bräutlichen Liebe antwortet. So empfängt sie in ganz besonderer Weise die von den prophetischen Sprüchen angekündigte Freude – eine Freude, die in der Erfüllung des göttlichen Planes hier den Höhepunkt erreicht.

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Liebe Schwestern und Brüder! Мit dieser kurzen Betrachtung grüße ich Euch, die Pilger und Besucher deutscher Sprache, sehr herzlich. Besonders grüße ich die Firmlinge der Pfarrei Sankt Marien in Wädenswil sowie die Leser der Paderborner Bistumszeitung »Der Dom«. Ich freue mich schon sehr auf meinen Besuch in Eurer Bischofsstadt im kommenden Juni. Einen besonders herzlichen Gruß richte ich auch an die Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Russischen Föderation bei den Internationalen Organisationen in Wien. Euer Dienst für Euer Vaterland und für das gemeinsame Anliegen des Friedens und des Fortschritts der Völker möge von Gottes Schutz und Beistand begleitet sein. Euch allen, Euren lieben Angehörigen und allen, die mit uns über Radio Vatikan verbunden sind, erteile ich den Apostolischen Segen.