Schreiben von Papst Johannes Paul II.
an die Generaloberin
der Schwestern der Christlichen Liebe
zum 21. Generalkapitel
An die ehrwürdige Mutter Gregoris Michels
Generaloberin der Schwestern der Christlichen Liebe
1. »Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!« (2 Kor 13,13). Die Worte, die der Völkerapostel Paulus einst an die Gemeinde von Korinth gerichtet hat, mache ich mir gern zu eigen, um euch, liebe Schwestern der Christlichen Liebe, von Herzen zu grüßen, die ihr in Paderborn, an der Wiege eurer Gemeinschaft, zum 21. Generalkapitel versammelt seid. Ich drücke meine Verbundenheit besonders der ehrwürdigen Mutter Generaloberin gegenüber aus, die in den vergangenen zwei Amtsperioden mit großer Aufopferung und feinem Gespür die Kongregation geführt hat, und bitte sie, meine Segenswünsche an alle Mitglieder der Genossenschaft zu übermitteln.
Das Thema, mit dem ihr euch in diesen Tagen beschäftigt, erfüllt mich mit Freude und schenkt mir Hoffnung im Hinblick auf die hohen Ideale, die ihr über euer Leben schreibt. Habt ihr doch ein ebenso anspruchsvolles wie prägnantes Wort eurer seligen Gründerin Pauline von Mallinckrodt gewählt, an dem ihr eure Beratungen ausrichten wollt: »Studiere Jesus«. Bei diesem Thema geht es weniger um eine neutrale »Sache«, über die man Gedanken austauschen könnte, als vielmehr um eine Einladung, die euch als Frauen des gottgeweihten Lebens persönlich betreffen und in die Pflicht nehmen muß.
Ich bin froh, daß ihr euch nicht als Nachlaßverwalterinnen einer nunmehr gut 150jährigen glanzvollen Vergangenheit versteht, sondern einer Zukunft den Weg bereiten wollt, den der Herr der Geschichte mit den Ordensleuten im dritten Jahrtausend gehen möchte.
2. »Wir wollen Jesus sehen« (Joh 12,21). Diese Bitte haben nicht nur einige Griechen vor fast zweitausend Jahren an den Apostel Philippus gerichtet. Sie bewegt auch heute viele unserer Zeitgenossen, die auf der Suche sind nach Erfüllung und Glück. Wenn auch nicht immer bewußt, so bitten die Menschen auch unserer Tage die Gläubigen, nicht nur von Christus zu reden, sondern ihn vor allem zu zeigen: Christus gleichsam »sehen zu lassen«. Diese Bitte zu erfüllen, dazu sind die Männer und Frauen, die ihr Leben Gott geweiht haben, in besonderer Weise gerufen.
3. In Zeiten, da die sinkenden Zahlen der Ordensleute Anlaß zur Besorgnis geben, ist es für die Ordensleute als einzelne und als Gemeinschaft umso dringlicher, aus den Quellen einer starken und tiefen Spiritualität zu schöpfen. Was ihr tut, ist ohne Zweifel wichtig; noch wichtiger aber ist, was ihr seid: Schwestern der Christlichen Liebe.
Ein solcher Titel verpflichtet. Durch euer Leben sollt ihr diesem Namen alle Ehre machen. Ich weiß, daß ihr in tagtäglicher Treue bemüht seid, das »neue Gebot« des Herrn zu leben, indem ihr einander liebt, wie er uns geliebt hat (vgl. Joh 13,34). Ihr laßt euch von der festen Überzeugung leiten, daß es keine echte und tragfähige Gemeinschaft gibt ohne die bedingungslose gegenseitige Liebe: Sie umfaßt die Verfügbarkeit zum Dienst unter Einsatz aller Kräfte; die Bereitschaft, die Mitschwester ohne Vorurteile so anzunehmen, wie sie ist; die Fähigkeit, auch »siebenundsiebzigmal« zu verzeihen (vgl. Mt 18,28); den Willen, niemanden zu verurteilen (vgl. Mt 7,1 f.); den Vorsatz, immer wieder neu anzufangen.
4. Euch ist ja vom Heiligen Geist die Liebe in die Herzen eingegossen (vgl. Röm 5,5), so daß ihr unter dem Auftrag steht, immer mehr »ein Herz und eine Seele« zu werden (Apg 4,32). Daraus erwächst wie von selbst das Bedürfnis, alles gemeinsam zu haben: materielle Güter und geistliche Erfahrungen, geistige Begabungen und praktische Fähigkeiten, apostolische Ideale und Taten der Nächstenliebe: »Im Gemeinschaftsleben geht die in einem vorhandene Kraft des Geistes gleichzeitig auf alle über. Da erfreut man sich nicht nur der eigenen Gabe, sondern vervielfältigt sie, indem an andere daran teilhaben läßt, und genießt die Frucht der Gabe der anderen wie die eigene« (Basilius der Große, Die größeren Ordensregeln, Fragen 7: PG 31, 931).
5. Wenn ihr, liebe Schwestern, euer Sein und eure Sendung im soeben begonnenen neuen Jahrhundert bedenkt, dann möchte ich euch den Wunsch mit auf den Weg geben, daß eure Beratungen vom Leitfaden der christlichen Liebe durchzogen seien. Euer Umgang miteinander sei von Ehrfurcht und Achtung getragen; eure Gespräche seien darauf ausgerichtet, im Bewußtsein eurer hohen Verantwortung mutig die Schritte zu setzen, die der Herr mit eurer Kongregation plant; schließlich möge eure Gemeinschaft immer mehr zu einer Ikone der göttlichen Liebe werden, an der alle, die darauf schauen, die Größe und Güte des menschenfreundlichen Gottes erkennen können.
6. In der verweilenden Betrachtung des Antlitzes Christi wird eurer Gemeinschaft auch in dunklen Stunden ein Licht aufgehen, und eure Gesichter werden etwas ausstrahlen von der Erkenntnis des göttlichen Glanzes, der euer Herz hell macht (vgl. 2 Kor 4,6). Auf die Fürsprache der unbefleckten Gottesmutter Maria, deren Leben ein reines Abbild der göttlichen Liebe war, wünsche ich eurem Generalkapitel einen fruchtbaren Verlauf und erteile den Kapitularinnen und allen Schwestern der Christlichen Liebe in herzlicher Verbundenheit den Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 2. Juli 2001
Johannes Paul II.
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