BOTSCHAFT VON PAPST JOHANNES PAUL II.
ZUM 87. WELTTAG DER MIGRANTEN
Seelsorge für die Migranten – Ein Weg zur Erfüllung der Sendung der Kirche in unserer Zeit
1. »Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13,8). Diese Worte des Apostels Paulus, gewählt als Motto für das Große Jubiläum, das vor kurzem seinen Abschluß gefunden hat, erinnern an die Sendung Jesu, des fleischgewordenen Wortes, für die Rettung der Welt. Ihrer Aufgabe im Dienst am Evangelium getreu, will die Kirche den Menschen jeder Nationalität entgegengehen, um ihnen die frohe Botschaft des Heils zu verkündigen.
In Anbetracht des umfassenden und komplexen Phänomens der Migration und Mobilität möchte ich in dieser Botschaft zum Welttag der Migrationen über die Aufgabe der Kirche, das Evangelium zu verkünden, nachdenken. In diesem Jahr ist für den obengenannten Welttag folgendes Thema gewählt worden: »Die Migranten-Seelsorge – Ein Weg für die Erfüllung der Sendung der Kirche in unserer Zeit.« Es geht hier um einen Bereich, der den Seelsorgern sehr am Herzen liegt, denn sie sind sich der vielschichtigen Probleme bewußt, auf die man hierbei stößt, und der unterschiedlichen Situationen, die Männer und Frauen dazu veranlaßt haben, ihr Heimatland zu verlassen. Frei gewählte Mobilität ist etwas anderes als Mobilität, die aus ideologischem, politischem und wirtschaftlichem Zwang erwächst. Man kann nicht umhin, dies bei der Planung einer für die Gruppe der »Migranten und Menschen unterwegs« geeigneten pastoralen Aktivität und bei ihrer Durchführung zu berücksichtigen.
Mit dieser Bezeichnung umfaßt das Dikasterium, das die institutionelle Aufgabe hat, die Sorge der Kirche für die von diesem Phänomen betroffenen Personen zum Ausdruck zu bringen, die ganze menschliche Mobilität. Unter dem Begriff »Migranten« sollen daher in erster Linie die Flüchtlinge und Vertriebenen verstanden werden, die außerhalb der Grenzen des eigenen Landes nach Freiheit und Sicherheit suchen; des weiteren aber auch die jungen Leute, die im Ausland studieren, und alle, die ihr Heimatland verlassen, um anderswo eine bessere Lebenssituation zu suchen. Das Phänomen der Migration vergrößert sich kontinuierlich und stellt Fragen und Herausforderungen an die Seelsorge der kirchlichen Gemeinschaft. Schon das II. Ökumenische Vatikanische Konzil hebt im Dekret Christus Dominus hervor: »Eine besondere Sorge werde den Gläubigen gewidmet, die wegen ihrer Lebensbedingungen die allgemeine ordentliche Hirtensorge der Pfarrer nicht genügend in Anspruch nehmen können oder sie vollständig entbehren. Dazu gehören zahlreiche Auswanderer, Vertriebene und Flüchtlinge« (Nr. 18).
Dieses komplexe Phänomen schließt viele Elemente ein: Die Tendenz, die rechtliche und politische Einheit der Menschenfamilie zu fördern, die beträchtliche Zunahme des kulturellen Austausches, die gegenseitige, besonders wirtschaftliche Abhängigkeit der Staaten, die Liberalisierung des Handels und ganz besonders des Kapitals, das Ansteigen der Zahl der multinationalen Unternehmen, die ständig wachsende Ungleichheit zwischen reichen und armen Ländern, die Entwicklung der Kommunikations-und Transportmitttel.
2. Die Gesamtheit dieser Faktoren erzeugt eine Massenbewegung von einem Gebiet der Erde zum anderen. Auch wenn die Form und das Ausmaß unterschiedlich sind, so ist die Mobilität ein allgemeines Merkmal der Menschheit geworden, das viele direkt einbezieht und andere indirekt erreicht. Das Ausmaß und die Komplexität des Phänomens rufen zu einer vertieften Analyse der eingetretenen, strukturellen Veränderungen auf, wie etwa die Globalisierung der Wirtschaft und des sozialen Lebens, die Annäherung der Rassen, die Zivilisationen und Kulturen innerhalb der gleichen rechtlichen und sozialen Ordnung: Diese Faktoren stellen ein dringendes Problem für das Zusammenleben dar. Die Entwicklungen gehen dahin, daß Grenzen fallen und Entfernungen sich verkleinern, wobei die Rückwirkungen dieser Ereignisse in den entferntesten Gebieten erkennbar sind.
Wir erleben eine tiefe Veränderung in der Denk- und Lebensweise, die neben positiven Elementen auch doppeldeutige Auswirkungen mit sich bringt. Das Gefühl des Provisorischen lädt beispielsweise dazu ein, den Reiz des Neuen zu bevorzugen, mitunter auf Kosten der Stabilität und einer klaren Werteordnung; gleichzeitig wird aber der Geist neugierig und offen, empfänglicher und dialogfähiger. In dieser Atmosphäre kann der Mensch angehalten werden, seine eigenen Überzeugungen zu vertiefen, er kann jedoch auch einem bequemen Relativismus verfallen. Die Mobilität bringt immer eine Entwurzelung aus der eigenen Umgebung mit sich, die sich oft in der Erfahrung tiefer Einsamkeit ausdrückt – mit der Gefahr, sich in der Anonymität zu verlieren. Aus diesen Situationen kann eine Ablehnung des neuen Lebensumfeldes erwachsen, aber auch dessen bedingungslose Annahme, die im Widerstreit steht zu den früheren Erfahrungen. Manchmal zeigt sich auch eine Bereitschaft zu einer passiven Anpassung, was leicht zum Auslöser kultureller und sozialer Entfremdung wird. Die Mobilität der Menschen bringt vielfältige Möglichkeiten der Offenheit, der Begegnung und des Zusammenschlusses mit sich. Man kann jedoch nicht übersehen, daß sie auch individuelle oder kollektive Ausdrucksform der Ablehnung ist, Frucht einer in sich verschlossenen Mentalität, wie sie in einer von Ängsten und Unausgeglichenheit heimgesuchten Gesellschaft anzutreffen ist.
3. Die Kirche ist darauf bedacht, in ihren pastoralen Aktivitäten diese schwerwiegenden Probleme immer vor Augen zu halten. Die Verkündigung des Evangeliums ist auf die ganzheitliche Rettung des Menschen ausgerichtet, auf seine wirkliche und tatsächliche Befreiung; dies geschieht dadurch, daß Bedingungen erreicht werden, die seiner Würde entsprechen. Die durch Christus erhaltenen Erkenntnisse über den Menschen drängen die Kirche dazu, die grundlegenden Rechte des Menschen zu verkünden und ihre Stimme zu erheben, wenn diese mit Füßen getreten werden. Deshalb wird sie nicht müde, die Würde der Person zu bekräftigen und zu verteidigen, indem sie die aus ihr hervorgehenden unveräußerlichen Rechte in den Vordergrund stellt. Es handelt sich insbesondere um das Recht auf Heimat, das Recht, in Freiheit in ihr leben zu können, mit der eigenen Familie zusammenzusein, über die notwendigen Mittel zu verfügen, um ein würdevolles Leben führen zu können, das ethnische, kulturelle, sprachliche Erbe zu erhalten und weiterentwickeln zu können, öffentlich seine Religion bekennen zu dürfen und in jeder Situation anerkannt und behandelt zu werden, wie es der Würde eines menschlichen Wesens entspricht.
Diese Rechte finden konkrete Anwendung im Begriff vom universellen Gemeinwohl. Er umfaßt die gesamte Völkerfamilie, über jeden nationalistischen Egoismus hinweg. In diesem Zusammenhang muß das Recht auf Auswanderung betrachtet werden. Die Kirche gesteht dieses Recht jedem Menschen zu, und zwar in zweifacher Hinsicht, einmal bezüglich der Möglichkeit sein Land zu verlassen und zum anderen hinsichtlich der Möglichkeit, in ein anderes Land einwandern zu können, um bessere Lebensbedingungen zu suchen. Gewiß muß die Ausübung dieses Rechts geregelt werden, denn seine unkontrollierte Anwendung würde dem Gemeinwohl jener Gesellschaften, die Aufnahme gewähren, Schaden und Nachteile einbringen. Angesichts der Verflochtenheit vieler Interessen sind neben den Gesetzen der einzelnen Länder auch internationale Verordnungen notwendig, die die Rechte jedes einzelnen zu regeln vermögen, um so einseitige Entscheidungen zum Schaden der Schwächsten zu verhindern.
In diesem Zusammenhang habe ich in der Botschaft zum Tag des Migranten im Jahr l993 daran erinnert, daß, wenn die hochentwickelten Länder nicht immer in der Lage sind, alle Einwanderungswilligen aufzunehmen, jenes Kriterium, das die Schwelle des Ertragbaren festlegt, nicht lediglich in der Verteidigung des eigenen Wohlergehens liegen kann, sondern die tatsächlichen Bedürfnisse all jener zu berücksichtigen hat, die auf dramatische Weise gezwungen sind, um Gastfreundschaft zu bitten.
4. Durch ihre pastorale Arbeit setzt die Kirche alles daran, den Migranten nicht das Licht und den Beistand des Evangeliums fehlen zu lassen. Im Laufe der Zeit hat sich ihre Aufmerksamkeit für die Katholiken, die ihr Heimatland verlassen haben, vergrößert. Besonders gegen Ende des 19. Jahrhunderts haben enorme Massen von katholischen Migranten aus Europa den Ozean überquert. Sie befanden sich dort in einer Situation, die ihren Glauben in Gefahr brachte, weil es an Priestern und entsprechenden Strukturen mangelte. Sie kannten die jeweiligen Sprachen vor Ort nicht, waren somit nicht in der Lage, von der allgemeinen Seelsorge des Aufnahmelandes Gebrauch zu machen, und blieben sich selbst überlassen.
So stellte die Migration praktisch eine Gefahr für den Glauben dar, und das weckte in vielen Seelsorgern Besorgnis, die sie in einigen Fällen sogar dazu veranlaßte, diese Entwicklung zu unterbinden. In der Folgezeit jedoch schien es klar, daß dieses Phänomen nicht aufgehalten werden konnte. So versuchte die Kirche angemessene Formen der pastoralen Betreuung zu schaffen, da man erkannte, daß die Migration auch ein wirksamer Weg werden konnte für die Verbreitung des Glaubens in anderen Ländern. Auf der Grundlage der im Laufe der Jahre gereiften Erfahrungen erarbeitete die Kirche dann eine organische Seelsorgetätigkeit für die Emigranten und erließ im Jahre l952 die Apostolische Konstitution Exsul Familia Nazarethana. In ihr wird dargelegt, daß versucht werden soll, den Migranten dieselbe Seelsorge zu gewährleisten, von der die einheimischen Christen Gebrauch machen, indem man die allgemeine Pastoralstruktur, die für die Erhaltung und das Wachsen des Glaubens aller Getauften vorgesehen ist, der Situation der Migranten anpaßt.
Später hat sich das II. Vatikanische Konzil mit dem Phänomen der Migrationen in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen auseinandergesetzt: Immigranten, Emigranten, Flüchtlinge, Vertriebene, ausländische Studenten – die aus pastoraler Sicht der Kategorie derer, die außerhalb ihres Heimatlandes leben, zugeordnet werden und somit nicht von der allgemeinen Seelsorge Gebrauch machen können. Sie werden als Gläubige definiert, die sich außerhalb des eigenen Landes oder der eigenen Nation befinden und somit einer besonderen Betreuung seitens eines Seelsorgers ihrer Muttersprache bedürfen.
Von der Überlegung, daß eine Gefahr für den Glauben besteht, geht man zu einer anderen über, nämlich, daß der Emigrant das Recht hat auf Achtung des eigenen kulturellen Erbes – auch in der Seelsorge. Aus dieser Sicht fällt auch die Grenze, die das Dokument Exsul Familia für die Seelsorge aufgestellt hatte, nämlich die Betreuung bis hin zur dritten Generation; hingegen bestätigt man das Recht auf Betreuung der Migranten – solange ein reales Bedürfnis besteht.
Die Migranten stellen in der Tat eine Kategorie dar, die nicht verglichen werden kann mit der aus verschiedenen Gruppen bestehenden Pfarrgemeinde – Kinder, Jugendliche, Verheiratete, Arbeiter, Angestellte usw., die eine kulturelle und sprachliche Gleichartigkeit aufweisen. Sie sind Teil einer anderen Gemeinde, für die eine Seelsorge bereitet werden muß, die ähnliche Elemente beinhaltet wie die des Ursprungslandes, so etwa die Achtung ihres kulturellen Erbes, die Notwendigkeit, einen Priester der eigenen Sprache zu haben, sowie permanente Sonderstrukturen. Notwendig ist eine dauerhafte, personalisierte und gemeinschaftliche Seelsorge, die es möglich macht, den katholischen Gläubigen in einer Zeit, in der sie besonders einer eigenen pastoralen Betreuung bedürfen, beizustehen, bis hin zu ihrer Eingliederung in die Ortskirche – wenn sie wirklich in der Lage sind, von der allgemeinen Seelsorge der Priester der Territorial-Pfarrei Gebrauch zu machen.
5. Diese Grundsätze sind in die geltenden kanonischen Richtlinien aufgenommen worden, die die Seelsorge für die Migranten in die allgemeine Seelsorge einbezogen haben. Abgesehen von den einzelnen Normen ist das, was den neuen Kodex auch hinsichtlich der Seelsorge für die Menschen unterwegs charakterisiert, ekklesiologische Eingebung des II. Vatikanischen Konzils.
Die Seelsorge für die Migranten ist so zu einer institutionalisierten Aktivität geworden, die sich an den Gläubigen wendet, der nicht so sehr als einzelner, sondern vielmehr als Mitglied einer besonderen Gemeinde betrachtet wird, für die die Kirche einen spezifischen pastoralen Dienst ausübt. Dies ist jedoch naturgemäß etwas Provisorisches und Vorübergehendes, auch wenn das Gesetz nicht unwiderruflich einen bestimmten Zeitraum für dessen Beendigung festlegt. Die organisatorische Struktur dieses Dienstes ist kein Ersatz für die territoriale Pfarrseelsorge, sondern kommt zu ihr hinzu, denn früher oder später soll sie ja in diese einfließen können. Obwohl die Migrantenseelsorge immer berücksichtigt, daß eine bestimmte Gemeinde eine je eigene Sprache und Kultur hat, was auch in der alltäglichen apostolischen Arbeit nicht übersehen werden darf, so ist es nicht ihr eigenes spezifisches Ziel, diese zu erhalten und zu entwickeln.
6. Die Geschichte zeigt, daß die katholischen Gläubigen dort, wo sie bei der Übersiedlung in ein anderes Land Begleitung fanden, nicht nur den Glauben bewahrt, sondern einen fruchtbaren Boden gefunden haben, um ihn zu vertiefen, persönlicher werden zu lassen und durch ihr Leben zu bezeugen. Im Laufe der Jahrhunderte waren die Migrationen ein beständiges Werkzeug, durch das die christliche Botschaft in weiten Gebieten verkündet wurde. Heute wandelt sich die Beschaffenheit der Migrationen radikal: Während einerseits der Strom der katholischen Migranten eine Verringerung verzeichnet, nimmt andererseits die Zahl der nichtchristlichen Migranten, die sich in Ländern mit katholischer Mehrheit niederlassen, zu.
In der Enzyklika Redemptoris missio habe ich an die Aufgabe der Kirche gegenüber den nichtchristlichen Migranten erinnert und hervorgehoben, wie sie durch ihre Anwesenheit neue Gelegenheiten des Kontakts und des kulturellen Austausches schaffen können, wodurch die christliche Gesellschaft, die ihnen Aufnahme gewährt, zum Dialog, zur Hilfe und zur Geschwisterlichkeit angeregt wird. Dies läßt die Bedeutung der katholischen Lehre hinsichtlich der nichtchristlichen Religionen deutlicher bewußt werden (vgl. Erklärung Nostra aetate), so daß ein aufmerksamer, andauernder und respektvoller interreligiöser Dialog unterhalten werden kann, wodurch man sich gegenseitig besser kennenlernt und einer den anderen bereichert. »Im Lichte der Heilsökonomie« – so schrieb ich in der genannten Enzyklika Redemptoris missio – »sieht die Kirche keinen Gegensatz zwischen der Verkündigung Christi und dem interreligiösen Dialog, sondern weiß um die Notwendigkeit, beide im Bereich der Mission ad gentes aneinander zu fügen. Es ist jedoch angebracht, daß diese Elemente sowohl ihre enge Bindung als auch ihre Unterscheidung wahren, damit sie weder verwechselt noch mißbraucht werden und auch nicht als austauschbar gelten« (55).
7. Die Anwesenheit von nichtchristlichen Immigranten in Ländern mit alter christlicher Tradition stellt für die kirchliche Gemeinde eine Herausforderung dar. Dieses Phänomen spornt die Kirche immer wieder zur Nächstenliebe bei der Aufnahme und Hilfe für die Brüder und Schwestern an, die auf der Suche nach Arbeit und Unterkunft sind. In gewissem Sinn ist dies ein Handeln, das dem der Missionare in den Missionsländern ähnlich ist, nämlich sich der Kranken, der Armen und der Analphabeten anzunehmen. So handelt der Jünger: Er kommt den Erwartungen und den Bedürfnissen seines Nächsten in Not entgegen. Der grundlegende Zweck seiner Mission ist jedoch die Verkündigung Christi und seines Evangeliums. Er weiß, daß die Verkündigung Jesu die erste Liebestat für den Menschen ist, die jede andere Geste, selbst die großzügigste Solidarität, übersteigt. Es ist in der Tat keine wahre Evangelisierung, »wenn der Name, die Lehre, das Leben, die Versprechungen, das Reich, das Mysterium Jesus von Nazareth, Sohn Gottes, nicht verkündet wird« (Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 22).
Manchmal tritt die spirituelle Dimension des karitativen Einsatzes in einem Umfeld, das von einer sich immer mehr ausbreitenden Gleichgültigkeit und religiösem Relativismus beherrscht wird, nur zögernd hervor. Einige befürchten auch, daß die praktizierte Nächstenliebe in der Perspektive der Evangelisierung dazu führen könnte, des Proselytismus bezichtigt zu werden. Das Evangelium der Nächstenliebe zu verkündigen und zu bezeugen stellt das verbindende Moment der Sendung gegenüber den Migranten dar (vgl. Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte, 56).
Hierbei möchte ich das verdienstvolle Wirken der vielen Apostel hervorheben, die ihr ganzes Dasein dieser missionarischen Aufgabe gewidmet haben. Ebenfalls möchte ich an die von der Kirche gemachten Anstrengungen erinnern, um den Erwartungen der Migranten entgegenzukommen. Unter diesen hebe ich die »Commissione Cattolica Internazionale per le Migrazioni« [Internationale katholische Kommission für die Migrationen] hervor, die im Jahre 2001 auf ihr fünzigjähriges Bestehen zurückblicken kann. Sie wurde im Jahr l951 auf Initiative des damaligen Substituten im Staatssekretariat, Msgr. Giovanni Battista Montini, ins Leben gerufen. Diese Kommission wollte Antwort geben auf die Bedürfnisse der Migrationsbewegungen, die ausgelöst wurden durch die Notwendigkeit, der Wirtschaft zu neuem Aufschwung zu verhelfen. Diese war in Mitleidenschaft gezogen durch den Krieg und die dramatische Situation, in der sich auf einmal ganze Bevölkerungsteile befanden, die gezwungen waren, aufgrund der neuen geographisch-politischen Aufgliederung durch die Siegermächte fortzuziehen. Die fünfzig Jahre Geschichte dieser Kommission und die nötig gewordenen Anpassungen, die man vornahm, um den verschiedenen Situationen besser zu entsprechen, zeugen davon, wie vielfältig, aufmerksam und grundlegend ihre Aktivitäten waren. Bei der Eröffnungssitzung am 5. Juni l95l wies der künftige Papst Paul VI. darauf hin, wie notwendig es sei, die Hindernisse der Migration zu beseitigen, um den Arbeitslosen die Möglichkeit einer Arbeit und den Obdachlosen eine Unterkunft zu geben; er fügte hinzu, daß die gerade geschaffene Internationale Kommission für die Migrationen das eigentliche Anliegen Christi sei. Diese Worte sind von bleibender Aktualität.
Ich danke Gott für den geleisteten Dienst und bringe den Wunsch zum Ausdruck, daß diese Kommission in ihrem Einsatz und ihrer Hilfe für die Flüchtlinge und Migranten mit immer größerem Eifer fortfahren möge, je schwieriger und unsicherer sich die Lage dieser Personengruppe erweist.
8. Die Verkündigung des Evangeliums der Nächstenliebe in der so umfassenden und vielfältigen Welt der Migranten lenkt heute die besondere Aufmerksamkeit auf das kulturelle Umfeld. Dies bedeutet für viele Menschen, die sich in ein fremdes Land begeben, daß sie auf eine andere Lebens- und Denkweise treffen, die ihnen fremd ist, was unterschiedliche Reaktionen hervorruft. Die Städte und Nationen weisen immer mehr multi-ethnische und multi-kulturelle Gemeinden auf. Dies bedeutet auch für die Christen eine große Herausforderung. Eine ruhige Betrachtung dieser neuen Situation rückt viele Werte in den Vordergrund, die große Beachtung verdienen. Der Heilige Geist hängt nicht von Ethnien oder Kulturen ab, er erleuchtet die Menschen und gibt ihnen auf geheimnisvollen Wegen seinen Geist ein. Er führt alle auf unterschiedlichen Pfaden zur Rettung, zu Jesus, dem fleischgewordenen Gott, der die »Erfüllung der Sehnsucht aller Religionen der Welt und eben deshalb deren einziger und endgültiger Hafen« ist (Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente, 6).
Eine solche Sicht wird gewiß den nichtchristlichen Migranten dabei helfen, in ihrer eigenen Religiosität ein starkes Element kultureller Identität zu erkennen, und sie gleichzeitig dazu befähigen, die Werte des christlichen Glaubens zu entdecken. Zu diesem Zweck wird die Zusammenarbeit zwischen den Ortskirchen und Missionaren, die die Kultur der Immigranten kennen, äußerst nützlich. Es geht darum, eine Verbindung zwischen den Gemeinden der Migranten und jenen des Ursprungslandes herzustellen und gleichzeitig die Ankunftsgemeinde über die Kultur und Religion der Immigranten sowie über die Gründe, die sie zur Auswanderung bewegt haben, zu informieren.
Es ist wichtig, der Aufnahmegemeinde dabei zu helfen, sich nicht nur der karitativen Gastfreundschaft zu öffnen, sondern auch der Begegnung, der Zusammenarbeit und dem Austausch; es ist außerdem angebracht, den Seelsorgern, die aus den Herkunftsländern in die Einwanderungsländer kommen, den Weg zu öffnen, um unter ihren Landsleuten arbeiten zu können. Für sie wäre die Schaffung von Aufnahmezentren sehr wichtig, damit sie dort auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet werden.
9. Dieser bereichernde interkulturelle und interreligiöse Dialog setzt ein Klima des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Achtung der religiösen Freiheit voraus. Unter den Bereichen, die vom Lichte Christi erleuchtet werden sollen, befindet sich deswegen jener der Freiheit, insbesondere der Religionsfreiheit, die mitunter noch begrenzt ist oder Zwängen unterliegt: Sie bildet eine Voraussetzung und Garantie jeder anderen wahren Form von Freiheit. »Das Problem der religiösen Freiheit« – so schrieb ich in Redemptoris missio – »ist nicht ein Problem der Mehrheits- oder der Minderheitsreligion, sondern vielmehr ein unverrückbares Recht jedes Menschen« (Nr. 39)
Die Freiheit stellt eine grundlegende Dimension des christlichen Glaubens dar, der nicht Weitergabe menschlicher Tradition oder Zielpunkt philosophischer Argumente, sondern Geschenk Gottes ist, der sich in Achtung vor dem menschlichen Gewissen mitteilt. Es ist der Herr, der mit seinem Geist wirkt. Er ist der wahre Hauptakteur. Die Menschen sind Werkzeuge, derer Er sich bedient, wobei er jedem einzelnen seine eigene Rolle zuteilt.
Das Evangelium ist für alle da: Niemand wird ausgeschlossen von der Möglichkeit, an der Freude des Reiches Gottes teilzuhaben. Die Sendung der Kirche von heute besteht gerade darin, jedem Menschen, ohne Unterschied der Kultur oder Rasse, die konkrete Möglichkeit der Begegnung mit Christus zu geben. Von ganzem Herzen wünsche ich, daß diese Möglichkeit allen Migranten angeboten werde, und dafür versichere ich sie meines Gebets.
Ich empfehle den Einsatz und die großherzigen Vorsätze all jener, die sich der Migranten annehmen, Maria, der Mutter Jesu und demütigen Magd des Herrn, die die Nöte der Migration und des Exils erfahren hat. Sie möge die Migranten ins neue Jahrtausend führen, zu dem hin, der das »wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1,9).
Mit diesen Gedanken erteile ich von ganzem Herzen allen, die in diesem wichtigen Bereich der Pastoral arbeiten, meinen besonderen Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 2. Februar 2001
JOANNES PAULUS II
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