BOTSCHAFT "URBI ET ORBI"
VON JOHANNES PAUL II.
WEIHNACHTEN 1997
1. "Alle Lande schauten Gottes Heil."
Heute, am Geburtsfest des Herrn, erleben wir zutiefst
die Wahrheit dieser Worte: Die Erde schaute Gottes Heil.
Zuerst vernahmen es die Hirten von Betlehem,
die bei der Verkündigung der Engel
voll Freude zur armseligen Grotte eilten.
Es war Nacht, vom Geheimnis erfüllte Nacht.
Was fanden sie vor?
Ein Kind, in einer Krippe liegend,
neben ihm fürsorglich Maria und Josef.
Sie sahen ein Kind. Doch, vom Glauben erleuchtet,
erkannten sie in diesem zarten Geschöpf den menschgewordenen Gott,
und sie brachten ihm ihre bescheidenen Gaben dar.
So setzten sie, ohne es zu wissen, den Anfang
zu dem Loblied auf den Immanuel,
den Gott mit uns,
das von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Ein frohes Lied, das Erbe all derer ist, die sich heute
im Geist nach Betlehem begeben,
um die Geburt des Herrn zu feiern,
und Gott loben für die machtvollen Taten, die er vollbracht hat.
Voll Glauben stimmen wir mit ihnen
in diesen einzigartigen Lobpreis ein,
der alljährlich zu Weihnachten hier auf dem Petersplatz
traditionsgemäß erneuert wird und mit dem Segen endet,
den der Bischof von Rom Urbi et Orbi spendet:
Urbi, das heißt dieser Stadt, die durch den Dienst
der heiligen Apostel Petrus und Paulus
in besonderer Weise
den Erlöser der Welt "geschaut hat".
Et Orbi, das heißt dem Erdkreis,
auf dem sich die Heilsbotschaft
bis an die Grenzen der Erde verbreitet hat.
Die Freude von Weihnachten ist auf diese Weise
das Erbe unzähliger Völker und Nationen geworden.
Ja, "alle Enden der Erde
sahen das Heil unsres Gottes" (Ps 97[98],3).
2. An alle ist die Botschaft des heutigen Festes gerichtet.
Alle sind gerufen,
an der Freude über die Geburt des Herrn teilzuhaben.
"Jauchzt vor dem Herrn, alle Länder der Erde,
freut euch, jubelt und singt" (Ps 97[98], 4).
Die Geburt des Herrn ist ein Tag außerordentlicher Freude!
Diese Freude hat die Herzen der Menschen durchdrungen
und sich in vielfältiger Weise
in der Geschichte und Kultur der christlichen Völker ausgedrückt.
Sie wurde aufgegriffen in den Kirchen- und Volksliedern,
in der Malerei, der Literatur und den übrigen Kunstbereichen.
Von großer Bedeutung für die christliche Formung ganzer Generationen
sind die Bräuche und Lieder,
die Heiligendarstellungen und vor allem die Krippen.
Der Gesang der Engel in Betlehem
hat auf diese Weise ein weltweites, vielfaches Echo gefunden
in den Gewohnheiten, der Mentalität und den Kulturen aller Zeiten.
Er hat im Herzen jedes Glaubenden Widerhall gefunden.
3. An diesem heutigen Tag, an dem sich alle freuen,
an einem Tag, der von so vielen Aufrufen zu Frieden und Brüderlichkeit erfüllt ist,
werden die Bitte und das Flehen der Völker,
die sich in Situationen besorgniserregender ethnischer und politischer Gewalt befinden
und sich nach Freiheit und Eintracht sehnen,
umso drängender und eindringlicher.
An diesem heutigen Tag erschallt die Stimme derer noch lauter,
die sich hochherzig dafür einsetzen,
daß die Schranken von Furcht und Aggressivität niedergerissen werden,
um die Verständigung zwischen Menschen
verschiedener Herkunft, Hautfarbe und Religion zu fördern.
An diesem heutigen Tag erscheinen die Leiden der Menschen
noch dramatischer, die auf der Flucht sind -
sei es in die Berge des eigenen Gebietes
oder auf der Suche nach einem Landeplatz an den Küsten benachbarter Länder,
um an ihrer wenn auch schwachen Hoffnung
auf ein weniger schwieriges und bedrohtes Leben festzuhalten.
Noch verängstigter klingt heute die von Spannung beschwerte Stille
der stetig wachsenden Zahl der neuen Armen:
der Frauen und Männer ohne Arbeit und ohne Dach über dem Kopf,
der Kinder, die verletzt und entehrt werden,
der Heranwachsenden, die für die Kriege der Erwachsenen eingezogen werden,
der Jugendlichen, die Opfer der Drogen sind
oder von trügerischen Mythen geblendet werden.
Heute ist Weihnachten, ein Tag des Vertrauens für Völker,
die lange geteilt waren und schließlich wieder miteinander reden und verhandeln.
Oft sind es nur schüchterne und zerbrechliche Perspektiven
und langsame und anstrengende Gespräche,
aber sie sind von der Hoffnung erfüllt,
daß sie schließlich zu Verträgen führen,
in der Achtung der Rechte und Pflichten aller.
4. Es ist Weihnachten! Diese unsere Menschheit,
die sich verlaufen hat und zugleich
auf dem Weg zum dritten Jahrtausend ist,
wartet auf Dich, Kind von Betlehem,
daß Du kommst, um die Liebe des Vaters zu zeigen.
Du König des Friedens, mögest uns heute einladen, keine Angst zu haben.
Du mögest unsere Herzen öffnen für Perspektiven der Hoffnung.
Deshalb singen wir "dem Herrn ein neues Lied;
denn er hat wunderbare Taten vollbracht" (vgl. Ps 97 [98], 1).
Seht, das größte von Gott vollbrachte Wunder:
Er selbst ist Mensch geworden, er ist in der Nacht zu Betlehem geboren,
er hat für uns sein Leben am Kreuz hingegeben,
er ist am dritten Tag auferstanden gemäß der Schrift
und bleibt in der Eucharistie immer bei uns
bis ans Ende der Zeiten.
Wahrhaftig, "das Wort ist Fleisch geworden
und hat unter uns gewohnt" (Joh 1,14).
Das Licht des Glaubens läßt uns
im neugeborenen Kind
den ewigen und unsterblichen Gott erkennen.
Wir werden Zeugen seiner Herrlichkeit.
Er, der Allmächtige,
hat äußerste Armut angenommen.
Das ist unser Glaube, der Glaube der Kirche,
der uns erlaubt, die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes Gottes zu bekennen,
obwohl unsere Augen nur den Menschen sehen,
ein neugeborenes Kind im Stall von Betlehem.
Der menschgewordene Gott liegt heute in der Krippe,
und das von tiefem Schweigen umfangene All bestaunt ihn.
Möge die Menschheit in ihm ihren Erlöser erkennen!
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