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BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
ZUM 35. WELTGEBETSTAG UM GEISTLICHE BERUFUNGEN

 

Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe Brüder und Schwestern in aller Welt!

Der Weg der Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 stellt diesen Weltgebetstag um Geistliche Berufe unter die "leuchtende Wolke" des Heiligen Geistes, der fortwährend in der Kirche wirkt und sie mit jenen Diensten und Charismen bereichert, derer sie zur Erfüllung ihrer Sendung bedarf.

1. "Jesus wurde vom Geist in die Wüste geführt..." (Mt 4,1)

Das gesamte Leben Jesu steht unter dem Einfluß des Heiligen Geistes. Am Anfang ist Er es, der die Jungfrau Maria im unaussprechlichen Geheimnis der Menschwerdung umschattet; am Jordan ist es wieder Er, der dem geliebten Sohn Zeugnis vom Vater gibt und ihn in die Wüste führt. In der Synagoge von Nazareth bestätigt Jesus persönlich: "Der Geist des Herrn ruht auf mir" (Lk 4,18). Ebendiesen Geist verspricht Er den Jüngern als fortwährenden Garanten seiner Gegenwart in ihrer Mitte. Am Kreuz gibt ihn Jesus an den Vater zurück (vgl. Joh 19,30) und besiegelt so im Anbrechen des Osterfests den Neuen Bund. Am Pfingsttag schließlich gießt er den Geist über die Urgemeinde aus, um sie im Glauben zu festigen und sie auf die Straßen der Welt hinauszuschicken.

Seit jenen Tagen wird die Kirche, der mystische Leib Christi, auf ihrem Weg durch die Zeit vom Wehen desselben Geistes angetrieben, sie erleuchtet die Geschichte mit dem glühenden Feuer des Wortes Gottes und reinigt die Herzen und das Leben der Menschen mit den Strömen lebendigen Wassers, die aus ihrem Innern fließen (vgl. Joh 7,37-39).

In dieser Weise verwirklicht sich ihre Berufung, "das durch die Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes geeinte Volk" zu sein (Hl. Cyprianus, De Dom. Orat., 23: CCL III/A, 105) und in sich "das Geheimnis des Heiligen Geistes zu wahren, der jene für die Sendung heiligt, die der Vater durch seinen Sohn Jesus Christus beruft" (Pastores dabo vobis, 35).

2. "Ihr seid ein Brief Christi ... mit dem Geist des lebendigen Gottes ÿ wie auf Tafeln in Herzen von Fleisch geschrieben" (2 Kor 3,3)

In der Kirche beginnt jeder Christ mit der Taufe, unter "dem Gesetz des Geistes, der Leben in Christus Jesus schenkt" (Röm 8,2), zu leben. Unter der Führung des Geistes tritt er in den Dialog mit Gott und mit den Brüdern und Schwestern ein und erfährt die außerordentliche Größe der eigenen Berufung.

Die Feier dieses Gebetstages ist eine willkommene Gelegenheit zur Verkündigung, daß Gottes Heiliger Geist ins Herz und Leben eines jeden Getauften einen Plan der Liebe und der Gnade schreibt. Dieser Plan allein vermag seiner Existenz vollen Sinn zu verleihen, indem er den Weg zur Freiheit der Kinder Gottes eröffnet und dazu befähigt, den eigenen persönlichen und unersetzlichen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit auf dem Weg der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu leisten. Der Geist hilft nicht nur, sich in Aufrichtigkeit den großen Anfragen des eigenen Herzens zu stellen, die da lauten: woher komme ich, wohin gehe ich, wer bin ich, was ist das Ziel des Lebens, wie setze ich meine Zeit sinnvoll ein. Der Geist ist es auch, der den Weg zu mutigen Antworten eröffnet. Die Entdeckung, daß jeder Mann und jede Frau einen eigenen Platz im Herzen Gottes und in der Geschichte der Menschheit hat, stellt den Ausgangspunkt für eine neue Kultur der Berufungen dar.

3. "Der Geist und die Braut sagen: Komm!" (Offb 22,17)

Diese Worte der Geheimen Offenbarung leiten uns an, die fruchtbare Beziehung zwischen dem Heiligen Geist und der Kirche zu betrachten, aus der die verschiedenen Berufungen entspringen, und jenes "Pfingstfest" in Erinnerung zu rufen, an dem jede christliche Gemeinde in Einheit geschaffen, vom Feuer des Geistes in der Vielfalt der Gaben geformt und dazu gesandt wird, die Frohbotschaft jedem Herzen nahezubringen, das darauf wartet.

Denn wenn es wahr ist, daß die Berufung immer ihren Ursprung in Gott hat, dann ist es ebenso wahr, daß sich der Dialog der Berufung in der Kirche und durch die Kirche vollzieht. Die Wirkkraft des Geistes, der Petrus antrieb, ins Haus des Hauptmanns Cornelius zu gehen und ihm das Heil zu bringen (Apg 10,19), und sagte: "Wählt mir Barnabas und Saulus zu dem Werk aus, zu dem ich sie mir berufen habe" (Apg 13,2), ist noch nicht erschöpft. Das Evangelium breitet sich auch weiterhin aus "nicht nur durch das Wort, sondern auch mit Kraft und mit Heiligem Geist" (1 Thess 1,5).

Der Heilige Geist und seine mystische Braut, die Kirche, wiederholen auch gegenüber den Männern und Frauen unserer Tage ihr "Komm!".

Komm, um dem fleischgewordenen Wort zu begegnen, das dir Teilhabe an seinem eigenen Leben schenken will!

Komm, nimm den Ruf Gottes an und überwinde deine Unschlüssigkeit und dein Zaudern! Komm und entdecke die Liebes-geschichte, die Gott mit der Menschheit ersonnen hat: Er will sie auch mit dir verwirklichen.

Komm und koste die Freude der empfangenen und geschenkten Vergebung. Die Mauer der Trennung zwischen Gott und dem Menschen und unter den Menschen selbst ist niedergerissen. Alle Schuld ist vergeben, das Festmahl des Lebens ist für alle bereitet.

Selig sind, die durch die Kraft des Wortes angezogen und von den Sakramenten durchdrungen ihr "Ich bin bereit!" sprechen. Sie begeben sich auf die Straße der völligen und radikalen Zugehörigkeit zu Gott, stark in der Hoffnung, die nicht enttäuscht, "weil die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist" (Röm 5,5).

4. "Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist" (1 Kor 12,4)

Im neuen Leben, das der Taufe entspringt und sich durch das Wort und die Sakramente entfaltet, finden die Gnadengaben, die Dienstämter und die verschiedenen Formen des gottgeweihten Lebens ihre Nahrung. Neue Berufungen im Geist hervorzubringen ist möglich, wenn die christliche Gemeinde in einer Haltung vollkommener Treue zu ihrem Herrn lebt. Dies setzt ein intensives Klima des Glaubens und des Gebetes voraus, ein großherziges Zeugnis der Gemeinschaft und der Wertschätzung für die vielfältigen Gaben des Geistes, eine missionarische Leidenschaft, die den leichtfertigen und trügerischen Egoismus besiegt und so zur Ganzhingabe für das Reich Gottes antreibt.

Jede Teilkirche ist aufgerufen, sich für die Entfaltung der Gaben und Charismen, die der Herr in den Herzen der Gläubigen weckt, einzusetzen. Unsere Aufmerksamkeit an diesem Gebetstag ist freilich in besonderer Weise den Berufungen zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben gewidmet. Dies hängt an der fundamentalen Rolle, die diese im Leben der Kirche und bei der Erfüllung ihrer Sendung spielen.

Als Jesus sich am Kreuz dem Vater hingab, machte er aus allen seinen Jüngern "ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk" (Ex 19,6) und erbaute sie zu einem "geistigen Haus", "zu einer heiligen Priesterschaft, um geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen" (1 Petr 2,5). Für den Dienst an diesem allgemeinen Priestertum des Neuen Bundes hat er die Zwölf berufen, daß die "mit ihm seien, die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben" (Mk 3,14-15). Heute setzt Christus sein Heilswerk durch die Bischöfe und die Priester fort, die "in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, sind; sie verkündigen mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot" (Pastores dabo vobis, 15).

"Wie sollte man nicht voll Dankbarkeit gegenüber dem Geist an die Fülle der geschichtlichen Formen des geweihten Lebens erinnern, die von ihm geweckt wurden und noch immer im kirchlichen Gefüge vorhanden sind? Sie erscheinen uns wie ein Baum mit vielen Zweigen, dessen Wurzeln tief in das Evangelium hineinreichen und der in jeder Epoche der Kirche üppige Früchte hervorbringt" (Apost. Schreiben Vita consecrata, 5). Das gottgeweihte Leben liegt im Herzen der Kirche als ein Element, das für ihre Sendung entscheidend ist, drückt es doch das innerste Wesen christlicher Berufung und die Spannung der ganzen Kirche aus, die als Braut zur Vereinigung mit ihrem einzigen Bräutigam drängt.

Sind diese Berufungen auch zu jeder Zeit notwendig, so sind sie es heute noch mehr in einer Welt, die von großen Widersprüchen gekennzeichnet und von der Versuchung gepackt ist, Gott aus den grundlegenden Lebensentscheidungen zu verdrängen. Es kommen einem die Worte des Evangeliums in den Sinn: "Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter! Bittet daher den Herrn der Ernte, Arbeiter in seine Ernte zu senden!" (Mt 9,37-38; vgl. Lk 10,2). Die Kirche greift jeden Tag diesen Befehl des Herrn auf und erhebt in vertrauensvoller Hoffnung ihr Bittgebet zum "Herrn der Ernte", wohl wissend, daß nur Er allein berufen und seine Arbeiter senden kann.

Mein Wunsch ist es, daß die jährliche Feier des Weltgebetstages für die geistlichen Berufe in den Herzen der Gläubigen ein noch intensiveres Bittgebet um neue Berufungen zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben entfache und die Verantwortung aller, besonders aber der Eltern und der Glaubenserzieher, im Dienst an den Berufungen wiedererwecke.

5. Gebt Rechenschaft über die Hoffnung, die in euch ist (vgl. 1 Petr 3,15)

An erster Stelle lade ich euch, geliebte Bischöfe, und mit euch die Priester, Diakone und Mitglieder der Institute des gottgeweihten Lebens ein, unermüdlich Zeugnis für die geistliche und menschliche Fülle abzulegen, die euch antreibt, "allen alles" zu werden, damit die Liebe Christi möglichst viele Menschen erreichen kann.

Baut entsprechende Beziehungen zu allen Teilen der Gesellschaft auf; bedient euch der Berufungen zu den Dienstämtern und der charismatischen Berufungen, die der Geist in euren Gemeinden weckt, und fördert ihre gegenseitige Ergänzung und Zusammenarbeit; leistet euren Beitrag, damit jeder zur vollen christlichen Reife heranwachse. Mögen die Jungen und Mädchen im Blick auf euch, die ihr freudige Diener des Evangeliums seid, den Zauber einer Existenz wahrnehmen, die sich in dem durch die Weihe übertragenen Amt oder in der radikalen Wahl des gottgeweihten Lebens ganz Christus widmet.

Ihr christlichen Eheleute, seid bereit, Rechenschaft über die tiefe Wirklichkeit eurer Berufung zur Ehe abzulegen: die Eintracht im Hause, der Geist des Glaubens und des Gebets, die praktische Übung der christlichen Tugenden, die Offenheit gegenüber den anderen, besonders den Armen, die Teilnahme am kirchlichen Leben, die Gelassenheit und Stärke in der Bewältigung der tagtäglichen Schwierigkeiten, all dies bildet einen günstigen Nährboden für das Reifen der Kinder in ihrer Berufung. Die Familie, verstanden als "Hauskirche" und getragen von der Gnade des Ehesakraments, ist die fortwährende Schule der Zivilisation der Liebe, wo es möglich ist zu lernen, daß nur aus der freien und aufrichtigen Gabe seiner selbst die Fülle des Lebens hervorquellen kann.

Auch ihr Lehrer, Katecheten, Seelsorgehelfer und alle anderen, die ihr eine Erzieherrolle wahrnehmt, fühlt euch als Mitarbeiter des Geistes bei eurem wichtigen und mühevollen Dienst. Helft den jungen Menschen, ihre Herzen und Sinne von allem zu befreien, was sich in den Weg stellt; spornt sie an, ihr Bestes zu geben in der beständigen Spannung des Wachsens als Mensch und als Christ; bildet daraus mit dem Licht und der Kraft des Wortes des Evangeliums die tiefgreifendsten Gefühle aus, so daß sie, wenn der Ruf an sie ergeht, ihre Berufung zum Wohl der Kirche und der Welt verwirklichen können.

In diesem Jahr stellt der Weg der Vorbereitung auf das Jubiläum des Jahres 2000 den Heiligen Geist in den Mittelpunkt und lädt uns somit ein, dem Sakrament der Firmung besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Darum möchte ich jetzt denen ein besonderes Wort widmen, die in diesen Tagen dieses Sakrament empfangen. Meine Lieben! Der Bischof wendet sich im Laufe des Firmritus an euch und sagt: "Der Heilige Geist, den ihr jetzt als geistliches Siegel zum Geschenk empfangen werdet, er wird in euch die Ähnlichkeit mit Christus vervollkommnen und euch noch stärker als lebendige Glieder mit der Kirche vereinen". Es beginnt also für euch eine bevorzugte Zeit, während der ihr eingeladen seid, euch selbst und die christliche Gemeinde, deren lebendige Glieder ihr geworden seid, über den vollen Sinn zu befragen, den ihr eurem Leben geben wollt. Es ist eine Zeit der Unterscheidung und der Wahl der Berufung. Hört die Einladung Jesu: "Kommt und seht". Gebt in der Gemeinschaft der Kirche euer Zeugnis für Christus entsprechend dem ganz persönlichen und unwiederholbaren Plan, den Gott mit euch vorhat. Laßt es zu, daß euch der Geist, der in eure Herzen ausgegossen ist, zur Wahrheit führe und euch zu Zeugen der echten Freiheit und der Liebe mache. Laßt euch nicht vom leichtfertigen und trügerischen Mythos des kurzfristigen menschlichen Erfolges und des Reichtums unterjochen. Im Gegenteil, habt keine Angst, die Wege der Liebe und des großherzigen Einsatzes zu gehen, die anspruchsvoll sind und Mut verlangen. Lernt, vor allen Menschen "Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die in euch ist" (1 Petr 3,15).

6. "Der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an" (Röm 8,26)

Der Welttag für die geistlichen Berufe ist insbesondere vom Gebet für die Berufungen zum Priestertum und zum gottgeweihten Leben geprägt, als höchster Ausdruck eines ständigen Klimas des Gebets, von dem die christliche Gemeinde sich nicht dispensieren kann. Wir wollen uns auch in diesem Jahr mit Vertrauen an den Heiligen Geist wenden, daß er der Kirche von heute und morgen das Geschenk zahlreicher und heiligmäßiger Berufungen zuteil werden lasse:

Geist der ewigen Liebe,
der Du vom Vater und vom Sohne ausgehst,
wir danken Dir für alle Berufungen an Aposteln und Heiligen,
die die Kirche fruchtbar machten.
Wir bitten Dich, führe auch heute Dein Werk fort.
Gedenke, wie Du einst am Pfingstfest
auf die Apostel herabkamst, die zum Gebet versammelt waren
mit Maria, der Mutter Jesu,
und schau auf Deine Kirche, die heute ganz besonders
heiligmäßige Priester braucht,
treue und vollmächtige Zeugen Deiner Gnade,
die Ordensmänner und Ordensfrauen braucht,

welche die Freude derer sichtbar machen, die nur für den Vater leben,
derer, die sich die Sendung und Hingabe Christi zu eigen machen,
und derer, die in Liebe an der neuen Welt bauen.

Heiliger Geist, immerwährender Quell der Freude und des Friedens,
Du bist es, der Herz und Sinn für den göttlichen Anruf öffnet;
Du bist es, der jeden Antrieb zum Guten, zur Wahrheit
und zur Liebe wirksam werden läßt.
Dein 'unausprechliches Seufzen' steigt
aus dem Herzen der Kirche zum Vater empor,
der Kirche, die für das Evangelium leidet und kämpft.

Öffne die Herzen und Sinne der jungen Männer und Mädchen,
damit ein neues Aufblühen heiligmäßiger Berufungen
die Treue Deiner Liebe zeige
und alle Christus erkennen können,
das wahre Licht, das in die Welt gekommen ist,
um jedem Menschen die sichere Hoffnung
auf ewiges Leben zu schenken. Amen!

Allen erteile ich von Herzen den besonderen Apostolischen Segen.

Aus Castelgandolfo, am 24. September 1997

 

JOANNES PAULUS PP. II



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