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PASTORALBESUCH IN ÖSTERREICH

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE ARBEITER IN ÖSTERREICH

Wien - Montag, 12. September 1983

 

Liebe Brüder und Schwestern aus der Welt der Arbeit!

1. Euch alle, die Ihr heute hierher gekommen seid, begrüße ich auf das herzlichste: ich begrüße Euch, österreichische Arbeitnehmer, und ich begrüße Euch, die Ihr aus verschiedenen Ländern Europas und sogar aus Übersee hier in Österreich Arbeit gefunden habt. Euer gemeinsames Kommen ist für mich ein eindrucksvolles Zeichen dafür, zu welcher Solidarität Ihr bei der Arbeit bereits gefunden habt. Ich begrüße von dieser Stelle aus aber auch alle, die in den vielen Betrieben dieses Landes Tag für Tag ihre Arbeitskraft zum Wohl aller einsetzen: im Handwerk, in der Industrie, in der Landwirtschaft, in Verwaltung und Dienstleistung.

Diese Begegnung soll ein Zeichen meiner tiefen Verbundenheit mit dem arbeitenden Menschen sein. Ich möchte Euch zur Seite stehen und Eure Hoffnungen, Eure Sorgen und Ängste teilen. Euch und Euren Familien will ich Zuversicht und Ermutigung schenken, und dies aus der Kraft unseres christlichen Glaubens, den die meisten von Euch im Herzen tragen.

Liebe Freunde! Ihr seid untereinander verbunden durch die gemeinsame - oft so mühevolle - Arbeit, in der Ihr steht. Ihr unterscheidet Euch aber auch voneinander durch Geschichte, Tradition, Sprache, Kultur und Religion.

2. Ich wende mich zunächst an Euch, liebe Gastarbeiter. Ihr habt auf der Suche nach Arbeit und Brot zum Teil mit Euren Familien - Eure Heimat verlassen, um inmitten einer neuen Umgebung, in einem Land mit einer anderen Kultur und einer fremden Sprache ein neues Leben zu beginnen. Mitgebracht habt Ihr - und das ist Euer Reichtum - Eure vielfältigen Fähigkeiten, Euren Leistungswillen und Arbeitseifer. Ihr habt in den vergangenen Jahren zum wirtschaftlichen Aufbau und Aufstieg des Industrielandes Österreich beigetragen und damit ein Anrecht auf gleiche Behandlung in allen sozialen Belangen der Arbeit erworben. Darüberhinaus bringt Ihr aus Eurer Heimat auch ein reiches kulturelles Erbe mit, Eure Religiosität und Eure Art der Menschlichkeit.

So begegnen sich auf Österreichs Boden wieder Angehörige vieler Völker: in friedlichem Miteinander und in gemeinsamer Arbeit. Diese Tatsache ermöglicht intensive Kontakte verschiedener Kulturen, ein besseres Sichkennenlernen, brüderliche Verbindung unter den Völkern. Die Gemeinsamkeit in der Arbeit könnte zur gegenseitigen menschlichen und geistigen Bereicherung führen. Gemeinsam am gleichen Arbeitsplatz zu stehen, das müßte eine Hilfe sein, etwaige Vorurteile dem anderen gegenüber abzubauen und die Ehrfurcht und Toleranz vor dem Anderssprechenden und Andersglaubenden zu stärken.

3. Für das Gastland und seine Bevölkerung ergibt sich dabei die Aufgabe, die Arbeiter aus der Fremde zuerst als Menschen aufzunehmen und ihnen brüderlich zu begegnen. Sie dürfen nicht als bloße Arbeitskraft oder Mittel für die Produktion betrachtet werden, die man möglichst billig zu erwerben und auszunutzen sucht, vielleicht sogar unter Umgehung der geltenden Sozialgesetze. Alle, vor allem aber die öffentlichen Stellen, sollen ihnen helfen, in angemessenem Rahmen ihre Familien nachzuholen und sich eine entsprechende Wohnung zu verschaffen; sie sollen ferner ihre Eingliederung in das gesellschaftliche Leben begünstigen. Auch öffentliche Einrichtungen, wie die Gewerkschaft, die Parteien, die mit Bildung befaßten Institutionen, sind aufgerufen, je nach ihren Möglichkeiten zum Abbau von Diskriminierung und Vorurteil von Intoleranz und Mißtrauen beizutragen.

Besonders die Christen in diesem Land rufe ich auf, dem Gastarbeiter echte Gastfreundschaft zu gewähren, seinem persönlichen Leben und Wirken ehrliches Interesse entgegenzubringen und sich mit seinen Problemen vertraut zu machen. So wie Jesus selbst und viele heiligmäßige Menschen in seiner Nachfolge sollen wir Christen immer wieder die Grenzen unseres Volkstums, unserer gesellschaftlichen Stellung, unserer kulturellen Prägung überschreiten und gerade den Fremden und Hilfsbedürftigen als unseren Bruder anerkennen und uns in Liebe seiner annehmen.

An dieser Stelle möchte ich der Kirche in Österreich danken für alles, was sie für die Seelsorge im Gastarbeiterbereich getan hat und weiterhin noch plant. In besonderem Maß möchte ich jenen Priestern danken, die ihren Gläubigen aus der Heimat nachgefolgt sind, um ihnen auch in der Fremde die Frohe Botschaft in ihrer Muttersprache zu verkündigen.

4. Um nun, liebe Brüder und Schwestern, wende ich mich besonders an die Männer und Frauen unter Euch, die aus Österreich selbst stammen. Es ist über die Grenzen Eures Landes bekannt, daß Ihr die sozialen Konflikte der Arbeitswelt auf einem sehr fortschrittlichen Niveau austragt. Ihr habt Euch in der Gewerkschaft eine starke Organisation geschaffen, und der hohe Mitgliederstand zeigt ein großes Maß an Solidarität unter Euch. Ihr habt in einem langen Ringen die wichtigsten Fragen im Arbeitsbereich gelöst und gesetzlich abgesichert. Ihr habt ein gewisses Maß an Mitbestimmung im wirtschaftlichen Bereich erreicht und auch bewiesen, daß Ihr mit diesen Möglichkeiten sachkundig und verantwortlich umgeht. Die Arbeiterschaft anderer Länder schaut mit Respekt auf Euch. Es ist erfreulich, daß in Eurem Land Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer fairen »Sozialpartnerschaft« anstehende Probleme gemeinsam zu klären versuchen und dabei schon beachtliche Erfolge verbuchen konnten. Ich spreche Euch meine Anerkennung dafür aus; denn die christliche Soziallehre vertritt das Prinzip einer friedlichen, allen dienenden Solidarität mit besonderem Nachdruck.

Doch auch bei Euch stehen Wirtschaft und Arbeiterschaft heute vor ganz neuen Problemen. Am internationalen Horizont zeichnet sich eine schwere wirtschaftliche Krise ab, die - wie es scheint - vielerorts eine langdauernde Arbeitslosigkeit mit sich bringen kann. Fachleute sagen Entwicklungen voraus, die menschliche Arbeit in geringerem Ausmaß als bisher zur Herstellung von Gütern und zur Bereitstellung von Dienstleistungen notwendig machen. Wir befinden uns bereits in den Anfängen dieser Umwälzungen. In solchen Zeiten muß sich bewähren, was wir Christen vom Menschen und seiner Arbeit denken. Es darf nicht dazu kommen, daß derjenige, der seinen Arbeitsplatz verlieren sollte, auch seinen Standort in der Gesellschaft verliert, daß er isoliert und seines Selbstwertgefühls beraubt wird. Die Arbeit ist zwar für den Menschen von grundlegender Bedeutung. Und das Christentum selbst hat der Arbeit zu hohem Ansehen verholfen.

Die christliche Botschaft zeigt aber auch, daß der Mensch nicht erst durch die Arbeit zum Menschen wird. Der Mensch ist Abbild Gottes und ist nach seiner bleibenden Würde und nicht nach seiner Arbeit zu bewerten. Arbeitslosigkeit darf daher niemals als persönlicher Makel gesehen werden. Eine Lösung dieses schwerwiegenden Problems kann nicht ohne Opfer aller Beteiligten gefunden werden. Ihr werdet dabei Eure so oft bewiesene Solidarität erneut unter Beweis stellen müssen. Ich vertraue auf Euch, daß Ihr gemeinsam nach Lösungen sucht und solche auch findet.

5. Nicht alle Menschen sind in gleicher. Weise durch das Übel der Arbeitslosigkeit gefährdet. Es gibt einige Gruppen, die Eurer Sorge besonders bedürfen. Immer mehr Jugendliche werden nach der Zeit ihrer Ausbildung keinen festen Arbeitsplatz finden können. Sie sehen sich in ihrer Bereitschaft zur Arbeit und zur Übernahme von Verantwortung in der Gesellschaft schmerzlich enttäuscht. Frauen erleben, daß sie zu den ersten gehören, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Wenn auch ihren Aufgaben in der Familie höchste Bedeutung zukommt, dürfen sie jedoch deshalb in ihrem Beruf nicht zurückgesetzt werden. Sie arbeiten heute in fast allen Lebensbereichen und sollen diese Tätigkeiten ihrer Veranlagung gemäß ausüben können ohne Benachteiligung und ohne Ausschluß von Stellungen, für die sie befähigt sind.

Besonders schwer haben es die Behinderten. Es wäre aber des Menschen unwürdig und eine Verleugnung der gemeinsamen Menschennatur, wollte man zur Arbeit nur voll Leistungsfähige zulassen. Die Menschen dürfen nicht in willkommene Starke und Gesunde auf der einen und in kaum geduldete Schwache und Kranke auf der anderen Seite aufgeteilt werden. Auch hier muß die Arbeit der Würde des Menschen untergeordnet werden, nicht dem wirtschaftlichen Ertrag. Solange es trotz aller Bemühungen Arbeitslose unter Euch gibt, sollt Ihr mit ihnen gemeinsam nach Lösungen suchen.

Schließlich muß noch ein Problem erwähnt werden, das mir besonders am Herzen liegt. Vergessen wir bei all den berechtigten Sorgen über die wirtschaftliche und soziale Zukunft nicht die viel größere Not der Länder der Dritten Welt. Wir dürfen heute in der Lösung der großen gesellschaftlichen Probleme nicht bloß an uns selber denken. Wir müssen gerade als Christen solche Lösungen anstreben, die immer auch die Würde jener Menschen im Auge haben, deren fundamentale Menschenrechte verletzt werden. Das gilt gerade auch für den Bereich der abhängigen Arbeit in vielen Ländern der Erde.

In diesem Zusammenhang appelliere ich an die katholischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände, an die Schulen und Sozialinstitute, die heutigen weltweiten Probleme der Wirtschafts- und Arbeitsordnung im Licht der katholischen Soziallehre - bis hin zur Enzyklika »Laborem Exercens« - intensiv zu studieren, damit im Zusammenwirken aller verantwortlichen Kräfte gerechte und realisierbare Lösungen gefunden werden können.

6. Liebe Brüder und Schwestern! Wenn die heutigen Probleme auch übergroß erscheinen, so besteht dennoch kein Grund zur Resignation. Diese Welt - auch in ihrem heutigen Zustand - ist uns von Gott als Aufgabe übergeben. Und unser christlicher Glaube enthält viele Motive und Grundsätze, uns in der richtigen Weise um die Lösung dieser Aufgabe zu bemühen. Die ersten Seiten der Bibel - die Beschreibung des Schöpfungswerkes - sind in gewissem Sinn das erste Evangelium der Arbeit. Der Mensch wurde als Abbild Gottes geschaffen und nimmt durch seine Arbeit am Werk des Schöpfers teil. Das betrifft nicht nur die außergewöhnlichen Leistungen. Männer und Frauen, die durch ihre tägliche Arbeit für ihren Lebensunterhalt sorgen, dürfen mit Recht überzeugt sein, daß sie darin das Werk des Schöpfers weiterführen.

Die Entwicklung der sozialen Probleme in Industrie und Wirtschaft hat die arbeitenden Menschen immer stärker zu einem gemeinsamen Handeln herausgefordert - zur Solidarität. Im gemeinsamen Voranschreiten befreiten sich die Arbeiter und Arbeiterinnen aus Erniedrigung und Unterdrückung. Sie schufen die Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein, für ein Leben in Gerechtigkeit und Freiheit. Die christlichen Arbeitnehmer fanden hierbei Kraft und Anregung besonders auch in der Soziallehre der Kirche.

Christliche Solidarität drängt zum Handeln. Wir sehen in den Evangelien Jesus mit offenen Augen durch seine Heimat gehen. Den mit Leid geschlagenen Menschen wendet er sich liebevoll zu und holt sie heraus aus der Isolierung von Krankheit und Verachtung. Dabei setzt er sich über Widerstände in seiner Umgebung, selbst bei den Aposteln, mit großer Bestimmtheit hinweg. So kann es auch für den solidarischen Christen keine Neutralität dem Unrecht gegenüber geben. Er verläßt die bequeme Distanz und ist bereit, etwas zu tun. Der Entschluß zu handeln ist der entscheidende Schritt, um zum Aufbau einer menschenwürdigen Welt beizutragen.

Christliche Solidarität drängt zum gemeinsamen Handeln. Der Weg vom Ich zum Wir setzt den Verzicht auf Egoismus und Eigensinn voraus. Die Suche nach Übereinstimmung ist zugleich eine Schule persönlicher Entfaltung und Reifung. Schließlich ist das gemeinsame Handeln der angemessene Weg, um vorliegende Probleme mit den Betroffenen selbst zu lösen. Wir sehen diese Elemente oftmals in der Geschichte der Kirche Christi. Auch die Jünger des Herrn bilden um Jesus eine Gruppe gemeinsamen Lernens und Handelns. Sie werden zwei und zwei ausgesandt und verkünden schließlich nicht bloß eine individuelle Heilsbotschaft - das Heil ist dem ganzen Volk Gottes versprochen.

Christliche Solidarität lebt aus dem »Für«, nicht aus dem »Gegen«. Solidarisches Handeln will unnötiges, von Menschen oder von der Natur bewirktes Leid aufheben. Damit richtet es sich zunächst auch gegen jene, die eventuell an der Aufrechterhaltung eines solchen Unrechts oder Unheils interessiert sind. Letztlich aber sollte der Antrieb zur Tat nicht das »Gegen« sein, das zu neuer Unterdrückung führen kann, sondern das befreiende »Für«. An Jesus sehen wir, daß er die Auseinandersetzung mit den Übeltätern und Verfechtern des Unrechts nicht scheut. Sein Ziel aber ist die Umkehr des Sünders, nicht sein Untergang; sein Ziel ist das Leben, nicht der Tod. Auch das Ziel der Arbeitersolidarität sollte nicht Sieg, Triumph und Herrschaft sein, sondern Hilfe, Besserung und Verständigung.

Wenn Ihr Euch also solidarisch zusammenschließt, um eine gerechtere, menschenwürdigere Welt aufzubauen, dann steht Ihr im Dienste des Lebens. Gottes Wille zum Heil ist umfassend. Er will, daß wir leben und Leben in Fülle haben.

7. Zu diesen Betrachtungen über die Solidarität in der Arbeit gehört auch ein herzliches Wort der Anerkennung für jene Brüder und Schwestern aus der Welt der Arbeit, die bewußt als gläubige Christen an ihrem Arbeitsplatz stehen. Ich weiß, daß gerade in Österreich seit vielen Jahrzehnten solche Männer und Frauen in den Reihen der Arbeiterschaft tätig sind und für Christus Zeugnis ablegen. Gerade von diesen Christen sind viele Impulse ausgegangen zur Lösung zahlreicher Probleme der Arbeiterschaft. Die ersten und nächsten Apostel unter der Arbeiterschaft müssen ja die Arbeiter selbst sein. Ich denke dabei auch an die vielen Laien und Priester, die sich in besonderer Weise dem Arbeiterapostolat widmen. Ich weiß, daß sich auch in Österreich viele vom Geist eines Kardinal Cardijn anspornen lassen. Und wenn heute hier auf diesem Platz die Katholische Arbeitnehmerbewegung Österreichs die Gastarbeiter zu einem Treffen mit mir eingeladen hat, dann sehe ich darin ein hoffnungsvolles Zeichen, daß Christen deutlich machen wollen, wie Solidarität in der Arbeit nicht an der Grenze des eigenen Landes und am eigenen Interesse endet. Ich danke Euch für dieses Beispiel, das Ihr damit gegeben habt.

Liebe Brüder und Schwestern aus der Welt der Arbeit!

Seid Euch Eurer Würde und Eurer Berufung bewußt: Söhne und Töchter Gottes seid Ihr, Mitarbeiter Gottes, der diese Welt schuf und sie uns Menschen übergab. Wirkt an ihrer Vollendung. Stellt Eure Kräfte zur Verfügung, um die sozialen Verhältnisse gerecht und menschenwürdig zu gestalten. Ihr habt eine große Vergangenheit, überlaßt die Zukunft nicht dem Zufall! Ich versichere Euch: Die Kirche fühlt sich Euch zutiefst verbunden und steht an Eurer Seite. Sie glaubt an die Werte, die im Menschen sind, an die Ordnung, die der Schöpfer der Welt jedem Menschen eingeschrieben hat.

Ich bitte Gott in dieser Stunde, daß die wirtschaftliche Situation sich wieder zum Besseren wende und für Euch und Eure Familien viele Belastungen und Sorgen wegfallen; daß in den Betrieben und Arbeitsstätten Gerechtigkeit herrsche und so - bei Euch und durch Euch - immer deutlicher werde, daß das Gottesreich schon angebrochen ist. Hier in dieser Welt, auch in der Welt der Arbeit.

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