PASTORALBESUCH IN DER BUNDESREPUBLIK
DEUTSCHLAND (21.-23. JUNI 1996)
BEGEGNUNG MIT DEN MITGLIEDERN DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ
ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
«Collegium Leoninum», Paderborn
Samstag, 22. Juni 1996
Verehrte, liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
1. Im vergangenen Dezember waren es dreißig Jahre, daß am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils der Briefwechsel der polnischen und deutschen Bischöfe erfolgte. Dieser Briefwechsel stellte einen bedeutenden Schritt dar für die Versöhnung zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk. Sie haben damit eine Zukunft in Aussicht gestellt, die die beiden Völker in Frieden und Freundschaft, in Eintracht und Zusammenarbeit verbindet. Dazu reichten sie sich damals die Hände, sie gewährten Vergebung und baten um Vergebung.
Ihr habt im vergangenen Jahr dieses historischen Schrittes vor 30 Jahren eigens gedacht im Bewußtsein und in der festen Entschlossenheit, alles zu begünstigen und zu fördern, was dazu beiträgt, die Beziehungen der Freundschaft zu einer stets lebendigen Wirklichkeit werden zu lassen.
Dieser Schritt, den die Bischöfe beider Länder getan haben, muß beispielhaft sein für ganz Europa und den europäischen Einigungsprozeß. Brüderlichkeit, gegenseitiges Verständnis und Zusammenarbeit, vor allem auch auf kirchlicher Ebene, sind ein wesentliches Element zur Einigung. Die Kirche hat hier eine Vorreiterrolle einzunehmen, auch im Bewußtsein, daß alles nur mit Gottes Hilfe gelingen kann: »Damit ... die Versuche der Menschen zu ihrer Verwirklichung Erfolg haben, braucht es das Geschenk der Gnade, die von Gott kommt. Durch sie vollzieht sich im Zusammenhang mit der Freiheit der Menschen jene geheimnisvolle Gegenwart Gottes in der Geschichte, die die Vorsehung ist.« (Centesimus annus, 59)
2. Am Ende des ausgehenden zweiten Jahrtausends wird sich die Kirche immer mehr ihrer Sendung in der von Christus erlösten Welt bewußt, um mit noch stärkerem Einsatz die ihr zukommende Sendung innerhalb der Gesellschaft wahrzunehmen, wobei Gesellschaft natürlich nicht als kollektive, den Menschen und sein Schicksal verschlingende Größe verstanden werden kann. Viele von uns haben selbst erfahren, daß »politische Messianismen ... meist in die schlimmsten Tyranneien [münden]. Die Strukturen, die die Gesellschaften sich geben, sind niemals endgültig; ... insbesondere können sie nicht das Gewissen des Menschen und auch nicht seine Suche nach der Wahrheit und nach dem Absoluten ersetzen.« (Ansprache an das Europäische Parlament in Strasburg, 11.10.1988).
Wir müssen als Kirche verstärkt die Aufgabe des moralischen Gewissens der Gesellschaft wahrnehmen. Als Christen müssen wir wieder »Salz der Erde« und »Licht der Welt« (Mt 5,13) werden. Kirchliches Leben, das sich ausschließlich auf den Wahrheiten des Glaubens zu gründen hat, muß Christus und der Botschaft des Evangeliums treu bleiben, wenn wir den Gliedern der Kirche helfen wollen, die sich in einer Gesellschaft befinden, die alle Lebensbereiche zu relativieren und zu säkularisieren versucht. »Tatsächlich besteht heute die Gefahr, die Demokratie auf einen sittlichen Relativismus zu gründen, der jede Gewißheit hinsichtlich des Sinnes des menschlichen Lebens und seiner Würde so wie hinsichtlich der grundlegenden Rechte und Pflichten des Menschen verwischt. Wenn sich eine solche Mentalität breit macht, kommt es früher oder später zu einer sittlichen Krise der Demokratie. Der Relativismus verhindert die notwendige Unterscheidung zwischen den verschiedenen Erfordernissen, die an der Basis der Gesellschaft zutage treten, sowie die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Das Leben einer Gesellschaft beruht auf Entscheidungen, die notwendigerweise feste sittliche Überzeugungen voraussetzen«. (Ansprache an die Teilnehmer des Forum der Christdemokraten in Roma, 23.11.1991).
Das Evangelium ist eine inspirierende und erhellende Kraft für das Leben des Gottesvolkes. Wo der Inhalt des Evangeliums geschwächt wird, sind die Konsequenzen für den Menschen - für die Einzelpersonen und die Gesellschaft - schwerwiegend. Nur auf einer soliden Grundlage können die Christen ihre Verantwortung im kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben wahrnehmen. Dabei gilt es, das Propagieren von Werten zu vermeiden, die zwar mehrheitsfähig sind, die aber die wahre Natur des Evangeliums verdunkeln können. Die Wahrheit des Glaubens muß ruhig und überlegt verkündet werden, »opportune, importune«.
3. Die Gesellschaft in Deutschland ist durch kein Ereignis der vergangenen Jahrzehnte so tiefgreifend verändert worden wie durch den Fall der Mauer, die Euer Land definitiv und sichtbar gespalten und ganz Europa in zwei Teile gerissen hatte. So sehr für Deutschland die wiedergewonnene politische und staatliche Einheit ein Geschenk darstellt, so bietet sie gleichermaßen eine bedeutsame Herausforderung, für die Zukunft verläßliche Formen der friedlichen Nachbarschaft in Europa zu entwickeln. Doch stellen sich hier nicht nur politische und wirtschaftliche Aufgaben, die oft unter großen Mühen und im solidarischen Mittragen der unverschuldet überkommenen Belastungen zu bewältigen sind, die die Herrschaft der totalitären Diktatur des Kommunismus hinterlassen hat. Durch den Fall von Stacheldraht und Mauer wurde unsere Aufmerksamkeit auch auf die verheerende Situation gelenkt, in der der DDR-Staat die Menschen in ihrem religiösen Sehnen und Suchen zurückgelassen hat. Durch die Unterdrückung und Verächtlichmachung öffentlicher Religionsausübung ist eine große Fremdheit bei vielen eingetreten, die der Kirche und dem überkommenen Glauben der Vorfahren positiv gegenüberstanden. So traten die unendlich schmerzlichen Wunden und Verletztheiten in den Blick, die die damaligen Machthaber im Leben und in den Herzen der Menschen verursacht haben. Viele von ihnen sind noch längst nicht verheilt und prägen noch immer den Alltag zahlloser Menschen. Dabei hat der staatlich verordnete Atheismus der DDR versucht, den Menschen auch die Freiheit des Glaubens und die Beheimatung in der Kirche zu nehmen. Auch wenn der ausgeübte Druck bei nicht wenigen seine Wirkung nicht verfehlt hat, so vermochte das Regime doch nicht die oft verborgene und gar verschüttete Sehnsucht nach Gott vollkommen auszulöschen. Zurückgeblieben sind allerdings ein großes Vakuum an Glaubenswissen und an christlichem Lebensgefühl sowie eine große Orientierungslosigkeit, die den Menschen im privaten Bereich und auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene spürbar und wahrnehmbar zu schaffen machen.
Laut verschiedenen Statistiken sind mehr als siebzig Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern konfessionslos. Religion und Kirche waren in der DDR über weite Strecken ideologisch stigmatisiert und gesellschaftlich ausgegrenzt. Kirchenaustritt oder sichtbare Distanz empfahl sich allen, die im gesellschaftlichen Leben eine Rolle spielen wollten. Allerdings will heute kaum jemand mehr einräumen, daß er selber der antiklerikalen Propaganda oder dem politischen Druck nachgegeben, geschweige denn sich an der Ausübung des Druckes beteiligt habe. Deswegen herrscht auch heute noch weitgehend das Bedürfnis vor, den Kirchenaustritt als wohlüberlegte, persönlich und frei getroffene und deswegen dauerhafte Entscheidung zu rechtfertigen. Bisweilen wurde religiöse Tradition sogar als Herrschaftsinstrument des Westens interpretiert.
4. In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung waren vor allem politische und wirtschaftliche Fragen zu lösen und eine Angleichung der äußeren Lebensbedingungen der Menschen in Ost und West zu meistern; dies war ein Bemühen, das unter großen Anstrengungen und solidarischem Mittragen der Lasten in beachtlichem Maße zu Erfolgen geführt hat und dem ein dauerhafter, gerechter und wirtschaftlich tragfähiger Erfolg zu wünschen ist. Hierbei konnten die Menschen lernen, sich in der neuen offenen und freien Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik mit ihren unübersehbaren materiellen Angeboten und vielfältigen Herausforderungen zurechtzufinden. In jüngster Zeit zeigt sich jedoch zunehmend deutlich das sehr persönliche Bedürfnis und die innerlich drängende Notwendigkeit nach einer geistigen, ethischen und religiösen Sinnvermittlung. Nicht nur bei denjenigen, die nach der politischen Wende aus dem Osten in westliche Teile Eures Landes übergesiedelt sind, sondern auch bei denen, die in ihrer ursprünglichen Umgebung verblieben sind, erweist sich inzwischen ein deutlich wahrnehmbares neues Interesse an Religion. Deshalb ist es entscheidend, den missionarischen Geist zu fördern und ihn in den Gemeinden neu zu beleben. Es ist Aufgabe aller Glieder der Kirche, die Fernstehenden und Ungetauften zu Christus zu führen, wie ich es den jungen Menschen anläßlich des Weltjugendtreffens in Denver aufgetragen hatte: »In dieser historischen Stunde liegt die befreiende Botschaft des Evangeliums vom Leben in euren Händen. Und die Sendung, es bis an die Grenzen der Erde auszurufen, ist Eurer Generation aufgetragen. Wie der Völkerapostel Paulus so müßt auch Ihr die ganze Dringlichkeit des Auftrags spüren: "Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde.." (1 Kor 9,16) Habt also keine Angst, auf die Straßen und Gassen zu gehen wie die ersten Apostel, die Christus und die frohe Botschaft vom Heil auf den Plätzen der Städte, in den Zentren und Dörfern verkündet haben. Jetzt ist nicht die Zeit, sich des Evangeliums zu schämen. (Röm 1,16) Es ist die Zeit, es von den Dächern zu rufen« (Mt 10,27). (Predigt in Denver anlässlich des Weltjugendtages, 15.08.1993)
Die Sicherung der Institution Kirche und ihrer Sendung in Staat und Gesellschaft ist notwendig; aber das Christentum lebt in der Hauptsache von der Vitalität des Glaubens der Christen, von ihrer persönlichen Christusverbundenheit und ihrer Zeugniskraft. Die Kirche dient dem Menschen und der Menschheit, wenn sie Christus verkündet. »Durch die Mission wird die Kirche tatsächlich erneuert, Glaube und christliche Identität werden bestärkt und erhalten neuen Schwung und neue Motivation. Der Glaube wird stark durch Weitergabe« (Redemptoris missio, 2).
Nicht unerwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß es nicht nur Männer und Frauen aus den östlichen Teilen Deutschlands sind, die in die Kirche ihre Hoffnung setzen, sondern auch Menschen, die aus weiten östlichen Gebieten des ehemaligen sowjetischen Machtbereiches stammen und die in Eurem Land eine neue Heimat suchen. Bei aller emotionalen Fremdheit, die sich diesen Aussiedlern bei der Ankunft in Deutschland auftut, suchen viele Familien zuerst den Kontakt zur Kirche und bitten oft auch um die Taufe, um auch ganz zu den Gemeinden gehören zu können. Häufig ist mit der Suche nach äußerer neuer Beheimatung und innerer Geborgenheit die noch tiefere Freude und Dankbarkeit verbunden, nach Jahren unmenschlicher und glaubensfeindlicher Unterdrückung endlich den oft nur sehr rudimentär ererbten Glauben der Vorfahren in Freiheit leben zu können. Wo Aussiedler um den Empfang der Sakramente der Kirche bitten, wird dieser Wunsch auch für die Pfarreien selber zum Geschenk, wenn sie sich dafür zu öffnen vermögen und dadurch leibhaftig vermitteln, daß Gott in seiner Kirche allen Heimatrecht schenkt, die ihn gläubigen Herzens suchen.
5. Zwar sind es in vielen Gemeinden bisher meist nur einzelne, die nach oft langer Suche und aus sehr unterschiedlichen Beweggründen um die Eingliederung in die Kirche bitten. Doch wo die Suchenden auf das gelebte christliche Zeugnis in den Gemeinden aufmerksam werden und eine "intensive Begegnung mit Christus entsteht," (vgl. Evangelii nuntiandi, 21-24) kommt es durch Gottes gnadenhaftes Wirken zu einer Einladung und Chance für immer mehr christliche Gemeinden, sich von der Bekehrung einzelner neu anstecken und herausfordern zu lassen. Die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen für das gläubige Leben der Kirche in Eurem Land und die Bitte einer zunehmend größer werdenden Zahl von Erwachsenen um die Taufe erinnern an die Zeit der frühen Kirche und die Lebendigkeit der christlichen Gemeinden, wie sie oft gerade durch das Katechumenat der Taufbewerber hervorgebracht wurde. Deshalb ist es so wichtig, daß sich auch in Deutschland die Kirche in ihren Pfarreien für die mancherorts noch ungewohnt und als außergewöhnlich empfundene Bitte jugendlicher und erwachsener Menschen um die Taufe öffnet und den Weg der Vorbereitung mit ihnen gemeinsam geht. Denn viele, die als Kinder getauft wurden, sind auch hier »Quasikatechumenen« (vgl. Catechesi tradendae, 44). Die Bekehrung der Taufbewerber inmitten der Gemeinde vermag gerade auch die getauften Christen in ihre »zweite Bekehrung« zu führen. Überlassen wir uns also, wie seit den Anfängen der Kirche, in Zuversicht und Vertrauen der Führung des Geistes, der der Kirche auch in Zeiten mancher Schwierigkeiten und Müdigkeit neue Lebenskraft schenkt. Sein Wirken zeigt sich auch heute in der Verwirklichung des Sendungsauftrages der Kirche, dem sich die Apostel seit dem Pfingsttag verpflichtet wissen (vgl. Redemptoris missio, 24).
6. Die Kirche kann ihren Auftrag nur verwirklichen, wenn sie sich als Hort der Freude am Glauben und des Vertrauens in die Zukunft darstellt. Die Aufgabe der Selbstprüfung und Reinigung, wie sie vom II. Vatikanischen Konzil gefordert wurde, ist bei nicht wenigen Gliedern der Kirche leider in zersetzende Kritik an den Institutionen und in Verbreitung von Unzufriedenheit umgeschlagen, die noch von einem gereizten Subjektivismus der »postmodernen« Kultur gefördert wird.
Trotzdem besteht kein Grund zur Angst, wenn wir Glauben haben: »Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube« (1 Joh 5,4). Der Glaube entfernt uns nicht von der Welt. Er bringt uns im Gegenteil ihren Problemen und Hoffnungen näher. Der wahre Glaube an den Erlöser entfernt uns nicht von den Menschen - im Gegenteil: »Zur Förderung dieser Gemeinschaft der Personen bietet die christliche Offenbarung eine große Hilfe; gleichzeitig führt sie uns zu einem tieferen Verständnis der Gesetze des gesellschaftlichen Lebens, die der Schöpfer in die geistliche und sittliche Natur des Menschen eingeschrieben hat« (Gaudium et spes, 23).
Der Glaube nährt sich an der Quelle der Wahrheit und bezieht aus ihr Leben und Kraft. Es wird notwendig sein, die Aufmerksamkeit der Gläubigen neu auf den Mittelpunkt der geoffenbarten Wahrheit zu lenken: Christus und das Leben in Christus. Natürlich ist nicht zu erwarten, daß sich die Menschen an der Kirche begeistern und in ihr die Freude am Glauben finden, wenn Fragen, die eigentlich sekundärer Natur und Bedeutung sind, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt werden; und dies um so mehr, wenn solche Fragen den Gläubigen unter Vortäuschung einer objektiven und sachlichen Argumentation und mit instrumentalisierenden Methoden unterbreitet werden.
Es ist gerade Aufgabe der Bischöfe, Diener des frohen Glaubens der Kirche zu sein. Es ist ein Dienst, der Wachsamkeit erfordert und nicht von der Ausübung der Autorität dispensieren darf und ferner weder in Foren noch in Pastoralgesprächen zur Disposition gestellt werden kann. Der Dienst muß zwar versehen werden im Dialog und immer mit großer Liebe, aber auch mit Klarheit und Entscheidungskraft
7. Traditionsgemäß haben Verkündigung und Predigt in Eurem Land einen hohen Rang. Auch die Feier der Sakramente wird nicht zu Unrecht gerühmt. Achtet besonders auf die Eucharistie und das Bußsakrament. Die Synode der Bischöfe hatte das individuelle Bekenntnis 1983 als unersetzlich herausgestellt. In einer Zeit der Mechanisierung menschlicher Beziehungen und der Anonymisierung aller Kontakte erscheint es als eine der wenigen Möglichkeiten individuell-persönlicher Begegnung. Versucht daher, es den Gemeinden neu zu erläutern und nahezubringen. Priester und Seminaristen sind anzuhalten, es selbst zu empfangen; denn sie werden niemanden für dieses Sakrament gewinnen, wenn sie selbst nicht seine Gnade suchen und erfahren. Und mancher Priester hat gerade als Beichtvater erlebt, daß sein Priesterdasein einen Sinn hat; er hat neue Freude an seinem Dienst gewonnen.
Die Verbindung und der Kontakt zwischen Priestern und Bischöfen gestalten sich in Deutschland aufgrund der enormen flächenmäßigen Ausdehnung vieler Diözesen schwierig, aber gerade deswegen sind sie besonders notwendig.
Zu würdigen ist in diesem Zusammenhang auch die bemerkenswerte Hilfe, die die Priester von Laien in hauptamtlicher und ehrenamtlicher Tätigkeit erfahren. Allerdings ist bei aller aufgrund des Priestermangels notwendigen personellen Planung darauf zu achten, daß hauptamtliche Laienmitarbeiter nicht in die Rolle des »Ersatzpriesters« oder »Ersatzkaplans« schlüpfen. Dies gilt vor allem in den Pfarreien, die keinen eigenen Seelsorger mehr haben.
Die geistliche Formung der Priesteramtskandidaten in den Seminarien und theologischen Fakultäten ist entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit des Priesters: »Es handelt sich ... um eine geistliche Formung, die allen Gläubigen gemeinsam ist, die aber entsprechend jenen Sinngehalten und Merkmalen gestaltet werden will, die sich aus der Identität des Priesters und seines Dienstes herleiten« (Pastores dabo vobis, 45).
Ferner sind häufige und regelmäßige Kontakte der Bischöfe mit den Professoren an den theologischen Fakultäten unabdingbar. »Die Theologen und die Bischöfe [stehen] im Dienst der Kirche selbst bei der Vertiefung des Glaubens, sie sollen wechselseitiges Vertrauen entfalten und pflegen und in diesem Geist auch die Spannungen und Konflikte überwinden« (ebd., 67).
Die augenblicklichen Sparzwänge in Eurem Land berühren auch den Universitäts- und Hochschulbereich. Bei eventuellen Notwendigkeiten, das Personal zu reduzieren, ist dennoch darauf zu achten, daß die inhaltliche Ausbildung in den verschiedenen Fächern nicht noch weiter reduziert wird. Gewisse Fächer können nicht einfach ersatzlos gestrichen werden. So sind zum Beispiel die Katholische Soziallehre und der Beitrag zu ihrer Entwicklung gerade im deutschsprachigen Raum Verpflichtung genug, ihr auch weiterhin den ihr zukommenden Stellenwert beizumessen.
Von entscheidender Bedeutung für die nächsten Jahre ist Euer Einsatz für die Berufungspastoral. Die Berufungen gibt es; denn der Herr läßt es nicht an den Gaben mangeln, derer die Kirche bedarf. »Die Erzieher und besonders die Priester sollen sich nicht fürchten, die Berufung zum Priestertum klar und nachdrücklich als eine reale Möglichkeit für jene jungen Männer vorzuschlagen, bei denen sich zeigt, daß sie die entsprechenden Gaben und Anlagen besitzen« (ebd., 39).
Neben Eurer Verantwortung als Bischöfe und jener der Priester ist es die christliche Familie, der eine besondere Aufgabe für das Entstehen von geistlichen Berufen obliegt (ebd., 41). Familienpastoral muß einen stärkeren Akzent als bisher zur Berufungspastoral hin enthalten, wobei auf eine enge Zusammenarbeit mit den religiösen Orden Wert zu legen ist: »Die Aufgabe der Förderung von Berufungen muß so erfüllt werden, daß sie zunehmend als eine gemeinsame Verpflichtung der ganzen Kirche erscheint. Sie erfordert daher die aktive Zusammenarbeit von Seelsorgern, Ordensleuten, Familien und Erziehern« (Vita consecrata, 64).
8. Das Problem der Förderung von Berufungen kann natürlich nicht isoliert von der Frage der Weitergabe des Glaubens betrachtet werden. Um den Glauben weitergeben zu können, ist die Rolle der Familie entscheidend: sie ist die Hauskirche. Auch von diesem Aspekt her ist die Familienpastoral ein entscheidender Eckpfeiler kirchlicher pastoraler Arbeit, vor allem was unsere Verantwortung für die Unauflöslichkeit der Ehe und für die Heiligkeit der Familie betrifft. Dies ist eine besondere Pflicht, die wir gegenüber den jungen Menschen und gegenüber den künftigen Generationen haben. Mit den Problemen der Familie hängen die Situation und die Rolle der Frau in der Gesellschaft eng zusammen. »Zweifellos rechtfertigen die gleiche Würde und Verantwortlichkeit von Mann und Frau voll den Zugang der Frau zu öffentlichen Aufgaben. Andererseits verlangt die wirkliche Förderung der Frau auch, daß der Wert ihrer mütterlichen und familiären Aufgabe im Vergleich mit allen öffentlichen Aufgaben und allen anderen Berufen klare Anerkennung finde. Übrigens müssen solche Aufgaben und Berufe sich gegenseitig integrieren, soll die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung wahrhaft und voll menschlich sein« (Familiaris consortio, 23).
In der Familie hat die Frau eine unersetzliche und vorrangige Aufgabe in der Weitergabe des Lebens und der Erziehung der Kinder. Aufgrund der sozialen Entwicklung erleben wir heute eine alarmierende Schwächung der Beziehung Mutter-Kind. Achtet vor allem darauf, daß in der Sozialgesetzgebung nicht auf Kosten der Schwächeren verfahren wird, die keine oder nur eine kleine Lobby bei den Verfassungsorganen besitzen.
9. Dieses Problem weitet sich natürlich auch auf den Schutz des Lebens aus. Die Kirche verteidigt das menschliche Leben ohne irgendeinen Kompromiß, vom Anfang bis zum Ende. »Wie kann es Freiheit geben, wenn das Leben, jedes menschliche Leben, nicht angenommen und geliebt wird? Wie kann es wahren sozialen Fortschritt geben, wenn die Bedrohungen und Angriffe auf das Leben des Menschen, das freie Geschenk der Liebe und Vorsehung Gottes, gerechtfertigt und legalisiert werden? ... Das Leben muß immer verteidigt, mit Liebe angenommen und mit ständiger Achtung begleitet werden« (Angelus, 3.2.1991).
Von immer größerer Dringlichkeit wird auch die Notwendigkeit des Eintretens gegen jede Form von Euthanasie. »Wenn die Neigung vorherrscht, das Leben nur in dem Maße zu schätzen, wie es Vergnügen und Wohlbefinden mit sich bringt, erscheint das Leiden als eine unerträgliche. Niederlage, von der man sich uni jeden Preis befreien muß« (Evangelium vitae, 64). Die Euthanasie ist eine schwere Verletzung des göttlichen Gesetzes, da es sich um die vorsätzliche Tönung einer menschlichen Person handelt. In diesem Zusammenhang danke ich Euch aufrichtig für Eure gemeinsame Initiative »Sterben vom Leben umfangen«, die Ihr zusammen mit den Evangelischen Kirchen Deutschlands ergriffen habt.
Zum Problem der Organtransplantationen in Verbindung mit der Feststellung des Augenblicks des Todes verweise ich ebenso auf die entsprechenden Ausführungen in der Enzyklika Evangelium vitae, vor allem auch im Hinblick auf eine Bewertung der Gesetzesentwürfe, die der Bundestag zu prüfen haben wird.
Im Zusammenhang mit dem Gesetz über die Schwangerschaftskonfliktberatung steht die Entscheidung über die Zuordnung der kirchlichen Beratungsstellen zur staatlich geregelten Beratung an. Diese Entscheidung muß mit großer Sorgfalt im Bewußtsein unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen vorbereitet und gefällt werden. Von unserem Glauben her ist klar, daß von kirchlichen Institutionen nichts getan werden darf, was in irgendeiner Form der Rechtfertigung der Abtreibung dienen kann.
10. Viele andere Fragen wären noch einer Erwähnung oder Vertiefung wert; Fragen, die ebenso einen ausgesprochenen Aktualitätscharakter besitzen. So ist das Recht auf Religionsunterricht an den staatlichen Schulen neu zu betonen. »Zu sagen, daß es der religiösen Gemeinschaft und nicht dem Staat zusteht, sich dessen, "was Gottes ist" (Mt 22,21)," anzunehmen, heißt der Macht des Menschen eine heilsame Grenze setzen; diese Grenze ist der Bereich des Gewissens, der letzten Ziele, des letzten Sinnes der Existenz, der Offenheit für das Absolute« (Ansprache an das Europäische Parlament in Strasburg, 11.10.1988).
Die Schule ist nicht nur eine Veranstaltung des Staates, sondern der Gesellschaft. Der Staat hat eine dienende und ordnende Funktion im Bereich der Schule. Der Elternwille ist entscheidend zu berücksichtigen. Was an Werten, Symbolen und Vorstellungen in der Schule Platz hat und gelehrt wird, darüber entscheiden die Eltern und Schulträger. Das Recht der Religionsfreiheit ist kein Recht zur Verhinderung der Religion. Wer Gott aus unserem Leben und das Kreuz aus unserer Gesellschaft verbannt, der wird auch die Gottes- und Nächstenliebe, Solidarität und Toleranz, die Achtung vor Menschenwürde und Menschenrecht aus unserem Leben und unserer Gesellschaft entfernen.
In der Frage des Religionsunterrichts an den Schulen bitte ich Euch auch, auf den Glauben und eine qualifizierte Ausbildung der Lehrer zu achten. Die Missio kann nicht nur Formalität sein. Wer sie annimmt, bekundet damit, daß er nicht Privatmeinungen über Glaube und gläubiges Leben in den Unterricht bringen, sondern den Glauben der Kirche vermitteln will, der ihm selbst zum Weg des Lebens geworden ist. Das innere Ja des Lehrers zu diesem Glauben wird ihm helfen, zum einen das nötige Wissen weiterzugeben, es aber zugleich mit Überzeugung anzufüllen, die wieder Überzeugung schafft. Der Katechismus der katholischen Kirche muß selbstverständlich methodisch in vielfältigen Weisen umgesetzt werden. Aber er gibt allem Religionsunterricht die großen Inhalte vor, um die es geht und die nicht durch schnell vorübergehende theologische Moden verdeckt werden dürfen. Ich bitte Euch von Herzen darum, dafür zu sorgen, daß die Katechese in all ihren Formen vom Katechismus her ihren gemeinsamen festen Grund erhält. Zugleich möchte ich allen Religionslehrern danken für ihren Mut und für ihr Zeugnis.
11. Das Problem der Arbeitslosigkeit stellt sich in Eurem Land in einem vorher nicht gekannten Ausmaß. Es ist vor allem wegen der schweren Konsequenzen für die jungen Menschen besorgniserregend, aber auch wegen der Verursachung neuer Armut. »Die Verpflichtung, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen, besagt ein Recht. Eine Gesellschaft, in der dieses Recht systematisch verweigert wird, in der es die wirtschaftspolitischen Maßnahmen den Arbeitern nicht ermöglichen, eine befriedigende Beschäftigungslage zu erreichen, kann weder ihre sittliche Rechtfertigung noch den gerechten sozialen Frieden erlangen« (Centesimus annus, 43)..
Die Kirche bietet ihre Soziallehre an, aber keine technischen Lösungen; sie möchte jedoch vor allem in sozial schwierigen Zeiten mit allen betroffenen Parteien aus menschlicher Solidarität in engem Kontakt bleiben, um ihren Beitrag zu leisten, die Gegensätze zwischen den Partnern abzubauen und neue Begegnungspunkte zu finden.
12. Um in diesem bedeutsamen Augenblick der Geschichte die schwierigen Aufgaben, die vor der Kirche liegen, anzugehen, bedarf es einer großen Geschlossenheit des Episkopats: einer Geschlossenheit, die nichts von der nötigen Freiheit des Meinungsaustausches nimmt und die in keiner Weise die Verantwortung »de iure divino et canonico« eines jeden Bischofs in seiner eigenen Diözese vermindern könnte; die Koordination in der pastoralen Tätigkeit, die vor allem im Bereich der Bischofskonferenz erfolgt, ist darauf ausgerichtet, die harte Arbeit der Bischöfe zu erleichtern und ihre Autorität zu unterstützen.
Indem ich die Gaben des Heiligen Geistes auf Euch herabrufe, erteile ich Euch von Herzen den Apostolischen Segen.
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