APOSTOLISCHE REISE NACH POLEN
ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DAS POLNISCHE PARLAMENT IN WARSCHAU
Warschau, 11. Juni 1999
Herr Präsident der Republik,
Herr Präsident des Sejm,
Frau Präsidentin des Senats,
Herr Ministerpräsident,
Vertreter der Justiz,
Mitglieder des Diplomatischen Korps,
Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften Polens,
meine Damen und Herren Parlamentarier!
1. Gestatten Sie mir, Sie herzlichst zu grüßen und Ihnen für Ihre Einladung zu danken. Gleichzeitig wende ich mich auch an die gesamte polnische Nation, an all meine lieben Landsleute.
Vor zwanzig Jahren, während meiner ersten Pilgerreise in der Heimat, rief ich gemeinsam mit der großen zum Gebet auf dem Siegesplatz versammelten Menge den Heiligen Geist an mit der inständigen Bitte: »Sende aus deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde!« (Predigt auf dem Siegesplatz in Warschau, 2.6.1979; O.R.dt., Nr. 23, 8.6.1979, S. 5). Als wir voll Vertrauen um diese Erneuerung flehten, wußten wir noch nicht, in welcher Form sich dieser Wandel in Polen vollziehen würde. Heute ist uns bewußt, wie tiefgreifend die Einwirkung der befreienden, heilenden und reinigenden göttlichen Macht war. Wir sollten der Vorsehung Gottes für all das dankbar sein, was wir durch die aufrichtige Bereitschaft unserer Herzen für die Einwirkung der Gnade des trostspendenden Geistes erreichen konnten. Dank sei dem Herrn der Geschichte für den derzeitigen Wandel in Polen, für das Zeugnis der Würde und spirituellen Standhaftigkeit all derer, die in jenen schweren Tagen die Sorge für die Rechte der Menschen und das Bewußtsein geteilt haben, daß das Leben in unserer Heimat verbessert, menschlicher gemacht werden konnte. Es vereinte sie die feste Überzeugung von der Würde jeder menschlichen Person, erschaffen nach Gottes Bild und Gleichnis und berufen, von Christus erlöst zu werden. Ihnen ist heute jener Reichtum mutiger und ehrgeiziger Initiativen anvertraut worden, die im Namen des höchsten Wohls der polnischen Republik ergriffen worden sind. Von Ihnen wird es abhängen, welche konkrete Form Freiheit und Demokratie in Polen annehmen werden.
2. Dieses Treffen ist von vielfacher symbolischer Bedeutung. Erstmals spricht der Papst vor dem versammelten polnischen Parlament in Anwesenheit der ausführenden und der richterlichen Gewalt und des Diplomatischen Korps. Unweigerlich denken wir in diesem Augenblick an die auf das 15. Jahrhundert zurückgehende lange Geschichte des polnischen Abgeordnetenhauses oder an die Verfassung vom 3. Mai 1791, das bedeutende Zeugnis legislativer Weisheit unserer Vorväter. Heute, an diesem Ort, sind wir uns der grundlegenden Rolle bewußt, die eine gerechte Rechtsordnung in einem demokratischen Staat einnimmt, deren Fundament immer und überall der Mensch sein sollte, die volle Wahrheit über den Menschen, seine unveräußerlichen Rechte und die der gesamten Gemeinschaft, der Nation.
Ich weiß, daß es nach langen Jahren ohne volle Staatshoheit und ohne ein wirklich öffentliches Leben nicht einfach ist, eine neue demokratische und institutionelle Ordnung aufzubauen. Daher möchte ich gleich eingangs meine Freude über dieses Treffen zum Ausdruck bringen, das hier, an jenem Ort stattfindet, an dem durch seine legislative Funktion die dauerhaften Grundlagen des demokratischen Staates und der souveränen Gesellschaft geschaffen werden.
Ferner wünsche ich dem Parlament, daß stets der Mensch und sein wahres Wohl im Mittelpunkt der legislativen Arbeit stehen möge nach dem klassischen Grundsatz: »Hominum causa omne ius constitutum est.« [Das Latein ist noch gut, wie in meiner Generation]. In meiner Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag schrieb ich: »Wenn die Förderung der Personenwürde das Leitprinzip ist, das uns beseelt, und wenn die Suche des Gemeinwohls die Aufgabe ist, die Vorrang hat, dann werden feste und dauerhafte Grundlagen zum Aufbau des Friedens gelegt. Wenn dagegen die Menschenrechte vernachlässigt oder gar mißachtet werden, wenn die Wahrung von Eigeninteressen gegenüber dem Gemeinwohl ungerechterweise überwiegt, dann werden unweigerlich die Keime für Instabilität, Rebellion und Gewalt gesät« (Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 1. Januar 1999, Nr. 1; O.R.dt., Nr. 1, 1.1.1999, S. 7). Auch in der Einleitung des Konkordats zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Republik Polen wird das auf sehr klare Art und Weise zum Ausdruck gebracht: »Die Entwicklung einer freien und demokratischen Gesellschaft gründet auf der Achtung der Würde der menschlichen Person und ihrer Rechte.«
Die polnische Kirche, die während der gesamten Nachkriegszeit, unter dem totalitären System, oft für die Verteidigung der Rechte der Menschen und der Nation eingetreten ist, möchte sich auch jetzt, in dem heutigen demokratischen Kontext, für die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens auf einer festen ethischen Grundlage und für die es regelnde Rechtsordnung einsetzen. Zu diesem Zweck dient vor allem die Erziehung für den verantwortungsvollen Umgang mit der Freiheit sowohl in ihrer individuellen als auch gesellschaftlichen Dimension, wie auch – falls notwendig – die Warnung vor Gefahren, die von Sichtweisen ausgehen, die das Wesen und die Berufung des Menschen und seine Würde einschränken. Das ist ein Bestandteil der auf dem Evangelium begründeten Sendung der Kirche, die auf diese Weise ihren speziellen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie an ihre Quelle zurückbringt.
3. Der Ort, an dem wir uns befinden, regt uns an, über den verantwortungsvollen Gebrauch des Geschenks der wiedergewonnenen Freiheit im öffentlichen Leben und über die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens für das Wohl aller eingehend nachzudenken. Möge uns bei einer Reflexion dieser Art die Erinnerung an die zahlreichen heroischen Zeugnisse der letzten beiden Jahrhunderte eine Hilfe sein, Zeugnisse des polnischen Strebens nach einem eigenen souveränen Staat, der für viele Generationen unserer Landsleute lediglich im Traum, in familiären Traditionen, im Gebet existierte. Vor allem denke ich an die Aufteilungen und an den mit ihnen verbundenen Kampf, das verlorene, von der Landkarte Europas verschwundene Polen wieder herzustellen. Das Fehlen dieser fundamentalen, die gesellschaftliche Realität formenden politischen Struktur ist stets, insbesondere während des letzten Weltkriegs, so intensiv empfunden worden, daß, unter äußerster Gefahr für die biologische Existenz der Nation selbst, ein polnischer »Untergrundstaat « entstand, der im übrigen besetzten Europa mit nichts vergleichbar war.
[Bevor ich hierher kam, habe ich ein Denkmal für diesen klandestinen Staat und für das Heer der Nation eingeweiht. Das hat mich zutiefst bewegt].
Wir alle sind uns der Tatsache bewußt, daß das heutige Treffen im Parlament ohne die entschlossenen Protestaktionen der polnischen Arbeiter im Baltikum, in jenem denkwürdigen August von 1980, nicht möglich gewesen wäre, nicht ohne »Solidarnosc« und den gewaltlosen Kampf für die Rechte der Menschen und des ganzen Landes. »Solidarnosc« wählte auch den – damals weltweit anerkannten – Grundsatz, demnach »Freiheit ohne Solidarität nicht möglich ist«: ohne Solidarität mit dem Nächsten, Solidarität, die die verschiedenen Hindernisse – klassenmäßiger, ideologischer, kultureller und selbst geographischer Art – überwindet, wie die Erinnerung unserer Nachbarn im Osten beweisen konnte.
Die Ereignisse von 1989, die die großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Polen und Europa einleiteten, waren – trotz des Leids, der Opfer und Demütigungen während des Krieges und der folgenden Jahre – die Auswirkungen der Wahl gerade jener gewaltlosen Kampfweise für eine freie bürgerliche Gesellschaft und einen demokratischen Staat. [Es ist noch nicht lange her, daß wir während des Berlinbesuchs gemeinsam mit Kanzler Kohl vor dem Brandenburger Tor daran erinnert haben].
Wir können uns nicht erlauben, diese Ereignisse zu vergessen. Sie haben nicht nur die ersehnte Freiheit gebracht, sondern auch auf entscheidende Art und Weise zum Fall jener Mauern beigetragen, die ein halbes Jahrhundert lang die Gesellschaften und Nationen dieses Teils unseres Kontinents von der freien Welt getrennt hatten. Jene historischen Veränderungen sind als Beispiel und Lehre in die moderne Geschichte eingegangen: in seinem Streben nach den großen Zielen des Gemeinschaftslebens muß der Mensch »auf seinem Weg durch die Geschichte der Bahn der vornehmen Bestrebungen des menschlichen Geistes folgen« (vgl. Ansprache vor den Vereinten Nationen, 5 .10.1995). In erster Linie kann und muß er sich für eine von Liebe, Brüderlichkeit und Solidarität geprägte Haltung entscheiden, für die Achtung der menschlichen Würde und somit für jene Werte, die damals für den Sieg [ohne den höchstgefährlichen Nuklearkonflikt] ausschlaggebend waren.
4. Die Erinnerung an die moralische Botschaft, die uns »Solidarnosc« hinterlassen hat, und somit auch an unsere oft tragischen geschichtlichen Erfahrungen sollte heute die Qualität des Gemeinschaftslebens in Polen, den politischen Stil oder die Form jeder anderen öffentlichen Aktivität, insbesondere diejenige, die kraft der Wahl und somit als Ausdruck des Vertrauens der Gesellschaft ausgeübt wird, in stärkerem Maße beeinflussen.
Der Dienst an der Nation muß auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein, das das Wohl des einzelnen Bürgers gewährleistet. Das II. Vaticanum äußert sich hierzu mit großer Klarheit: »Die politische Gemeinschaft besteht also um dieses Gemeinwohls willen; in ihm hat sie ihre letztgültige Rechtfertigung und ihren Sinn, aus ihm leitet sie ihr ursprüngliches Eigenrecht ab. Das Gemeinwohl aber begreift in sich die Summe aller jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung voller und ungehinderter zu erreichen gestatten« (Gaudium et spes, 74). »Die gesellschaftliche Ordnung und ihre Entwicklung müssen sich dauernd am Wohl der Personen orientieren; denn die Ordnung der Dinge muß der Ordnung der Personen dienstbar werden und nicht umgekehrt. […] Die gesellschaftliche Ordnung muß sich ständig weiterentwickeln, muß in Wahrheit gegründet, in Gerechtigkeit aufgebaut und von Liebe beseelt werden und muß in Freiheit ein immer humaneres Gleichgewicht finden« (ebd. 26).
In der polnischen Tradition fehlen keineswegs jene Vorbilder, die ihr Leben gänzlich dem Gemeinwohl unserer Nation widmeten. Diese Beispiele des Mutes, der Demut, der Treue zu den Idealen und des Opfersinns weckten edelste Gefühle und Haltungen in vielen Landsleuten, die auf selbstlose und hingebungsvolle Art und Weise das Heimatland in Zeiten schwerster Prüfungen unterstützten.
Selbstverständlich sollten alle Bürger die Sorge für das Gemeinwohl teilen, die sich auf jedem Gebiet des gesellschaftlichen Lebens zeigen sollte. In erster Linie ist die Sorge für das Gemeinwohl aber ein Erfordernis im politischen Bereich. Hier denke ich sowohl an jene, die sich gänzlich der Politik widmen, wie auch an den einzelnen Bürger. Die politische Tätigkeit – in der Gemeinschaft ebenso wie in den staatlichen Einrichtungen – sollte ein hochherziger Dienst am Menschen und an der Gesellschaft sein und keineswegs, unter Vernachlässigung des Gemeinwohls der gesamten Nation, zu persönlicher oder gemeinschaftlicher Bereicherung mißbraucht werden.
Unbedingt müssen hier die »Predigten für den Sejm« des königlichen Predigers, des Priesters Piotr Skarga, und seine dringende Aufforderung an die Parlamentarier der ersten Republik erwähnt werden: »Seid hochherzig und nachsichtig. Richtet eure Liebe nicht lediglich auf euch und eure eigenen Interessen. Beschränkt sie nicht nur auf euer Heim und auf euren persönlichen Reichtum. Möge sie von euch auf das ganze Volk übergehen, wie der hoch aus den Bergen kommende Fluß, der sich in das Tal ergießt […] Wer seiner Heimat dient, dient sich selbst; denn sie enthält alles, was gut für ihn ist« (vgl. Zweite Predigt, Von der Liebe zum Vaterland).
Die Kirche erwartet eine solche vom Geist des Dienstes und des Gemeinwohls erfüllte Haltung in erster Linie von den katholischen Laien. »Die Laien können nicht darauf verzichten, sich in die »Politik« einzuschalten, das heißt in die vielfältigen und verschiedenen Initiativen auf wirtschaftlicher, sozialer, gesetzgebender, verwaltungsmäßiger und kultureller Ebene, die der organischen und systematischen Förderung des Allgemeinwohls dienen« (Christifideles laici, 42). Ihre Aufgabe ist es, mit Hilfe aller die Wirklichkeit des menschlichen Lebens mit dem Geist des Evangeliums zu durchtränken, um ihren speziellen Beitrag für die Förderung des Gemeinwohls zu leisten, eine auf ihrer christlichen Berufung beruhende Verpflichtung gegenüber ihrem Gewissen.
5. Die Herausforderungen, denen der demokratische Staat gegenübersteht, verlangen die solidarische Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens, die, unabhängig von der politischen Einstellung oder Ideologie, den gemeinsamen Wunsch haben, sich für das Gemeinwohl des Heimatlandes einzusetzen. Zweifellos muß die dem Leben jeder politischen Gemeinschaft eigene Autonomie geachtet werden, gleichzeitig müssen wir uns aber bewußt sein, daß sie im Hinblick auf die ethischen Grundsätze keineswegs als unabhängig betrachtet werden kann. Auch pluralistische Staaten können im öffentlichen Leben nicht auf ethische Normen verzichten. »Nach dem Niedergang der Ideologien in vielen Ländern – schrieb ich in meiner Enzyklika Veritatis splendor –, die die Politik mit einem totalitären Weltbild verbanden – unter ihnen vor allem der Marxismus –, zeichnet sich heute eine nicht weniger ernste Gefahr ab angesichts der Verneinung der Grundrechte der menschlichen Person und der Auflösung der im Herzen jedes Menschenwesens wohnenden religiösen Frage in politische Kategorien: Es ist die Gefahr der Verbindung zwischen Demokratie und ethischem Relativismus, die dem bürgerlichen Zusammenleben jeden sicheren sittlichen Bezugspunkt nimmt, ja mehr noch, es der Anerkennung von Wahrheit beraubt. Denn ›wenn es keine letzte Wahrheit gibt, die das politische Handeln leitet und ihm Orientierung gibt, dann können die Ideen und Überzeugungen leicht für Machtzwecke mißbraucht werden. Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen of fenen oder hinterhältigen Totalitarismus‹« (Nr. 101).
Wenn wir auch die Freude über den offensichtlichen positiven Wandel in Polen teilen, müssen wir uns aber doch der Tatsache bewußt sein, daß in einer freien Gesellschaft auch Werte vorhanden sein müssen, die das höchste Wohl des ganzen Menschen gewährleisten. Jeder wirtschaftliche Wandel muß der Entwicklung einer humaneren und gerechteren Welt dienen. Die polnischen Politiker und alle im politischen Leben tätigen Personen möchte ich bestärken, nach besten Kräften für den Aufbau eines Staates zu arbeiten, dessen ganz besondere Sorge der Familie, dem menschlichen Leben, der Erziehung der jungen Generationen gilt, der das Recht auf Arbeit achtet, die wesentlichen Probleme der gesamten Nation erkennt und empfänglich ist für die Anforderungen des konkreten Menschen, insbesondere des armen und schwachen.
6. Die nun zehn Jahre zurückliegenden Ereignisse in Polen haben jene historische Gelegenheit geschaffen, um den europäischen Kontinent, der die ideologischen Schranken definitiv abgebaut hatte, auf den Weg der Einheit zurückzuführen. Mehrmals habe ich über dieses Thema gesprochen und die Metapher von den »zwei Lungen« geprägt, mit denen ein Europa atmen soll, das in sich sowohl die orientalische wie die westliche Tradition vereint. Statt der erhofften geistigen Gemeinschaft treten neue Spaltungen und neue Konflikte auf. Eine solche Situation fordert von den Politikern, den Vertretern der wissenschaftlichen und kulturellen Welt wie auch von allen Christen dringend notwendige, der Integration Europas dienende neue Initiativen.
Im Laufe ihrer jahrhundertelangen Pilgerschaft hat die Kirche ihre Sendung tief mit unserem Kontinent verknüpft, tiefer als mit allen anderen. Das spirituelle Gesicht Europas ist durch das Werk bedeutender Missionare und das Zeugnis der Märtyrer geformt worden, in den mit großer Opferbereitschaft erbauten Tempeln, in Zentren des kontemplativen Lebens, durch die humanistische Botschaft der Universitäten. Die zur Sorge für das geistige Wachstum des Menschen als soziales Wesen berufene Kirche brachte eine Gesamtheit einzigartiger Werte. Stets war sie überzeugt, daß »eine echte Kulturpolitik den Menschen in seiner Gesamtheit im Blick haben muß, d. h. in all seinen persönlichen Dimensionen – ohne den ethischen und religiösen Aspekt zu vergessen« (Botschaft an den Generaldirektor der UNESCO anläßlich der Weltkonferenz über Kulturpolitik in Mexiko, 24.7.1982; DAS [1982], S. 1233). Wie arm wäre doch die europäische Kultur ohne christliche Inspiration geblieben!
Aus diesem Grund warnt die Kirche vor einer einseitigen, lediglich auf wirtschaftliche und politische Aspekte beschränkten europäischen Sichtweise wie auch vor einer kritiklosen Haltung gegenüber einem konsumorientierten Lebensstil. Wenn wir eine dauerhafte neue europäische Einheit anstreben, müssen wir von diesen spirituellen Werten ausgehen, die einst ihre Grundlage waren, und den Reichtum und die Verschiedenheit der Kulturen und Traditionen der einzelnen Nationen berücksichtigen. Das nämlich muß die Große Europäische Gemeinschaft des Geistes sein. Auch hier erneuere ich meine an den alten Kontinent gerichtete Botschaft: »Europa, öffne Christus deine Tore!.«
7. Anläßlich des heutigen Treffens möchte ich nochmals meine Anerkennung für die konsequenten und solidarischen Bemühungen zum Ausdruck bringen, die, seit der Wiedererlangung der Staatshoheit, auf die Suche und Festigung einer gebührenden und sicheren Stellung Polens in dem nach Einigung strebenden Europa und in der Welt ausgerichtet sind.
Polen ist voll berechtigt, am allgemeinen Fortschritts- und Entwicklungsprozeß der Welt und vor allem Europas teilzunehmen. Von Anfang an hat der Apostolische Stuhl die Eingliederung Polens in die Europäische Gemeinschaft befürwortet. Die geschichtliche Erfahrung der polnischen Nation, ihr spiritueller und kultureller Reichtum, können auf wirksame Art und Weise zum Gemeinwohl der gesamten menschlichen Familie beitragen, insbesondere zur Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit in Europa.
8. Der sechzigste Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, dessen wir dieses Jahr gedenken, und der zehnte Jahrestag der oben erwähnten Ereignisse sollten alle Polen veranlassen, über die Freiheit als »Geschenk« und gleichzeitig als »Aufgabe« nachzudenken. Eine Freiheit, um deren Festigung wir uns immerfort bemühen und die wir auf verantwortungsvolle Art und Weise leben müssen. Mögen die in unserer Geschichte so zahlreich vertretenen hochherzigen Zeugnisse der Liebe für das Heimatland, der Selbstlosigkeit und des Heroismus eine Herausforderung zu gemeinsamem Streben nach den großen Zielen der Nation sein, denn »der beste Gebrauch der Freiheit ist die Liebe, die sich in der Hingabe und im Dienst verwirklicht« (Redemptor hominis, 21).
Allen Anwesenden und jedem meiner Landsleute wünsche ich, die Schwelle des dritten Jahrtausends in der Hoffnung, dem Vertrauen und mit dem Willen zu überschreiten, gemeinsam jene Zivilisation der Liebe aufzubauen, die auf den universalen Werten des Friedens, der Solidarität, der Gerechtigkeit und Freiheit gründet.
Möge der Heilige Geist unermüdlich jenen bedeutenden Wandlungsprozeß unterstützen, der das Antlitz der Erde, unserer gemeinsamen Erde, erneuern soll.
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