ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE APOSTOLISCHE PÖNITENTIARIE
Samstag, 13. März 1999
1. Herr Kardinal-Pönitentiar, sehr geehrte Prälaten und Offiziale der Apostolischen Pönitentiarie und Pönitentiare der Patriarchalbasiliken Roms, liebe Jungpriester und Priesteramtskandidaten, die ihr den Kurs über das »forum internum « [innerer Bereich; vgl. CIC can. 64 u. 1082] besucht habt, der auch dieses Jahr von der Apostolischen Pönitentiarie organisiert worden ist: Ich empfange euch sehr herzlich zu dieser traditionsreichen Audienz, die mir besonders teuer ist.
Mein Dank gilt Kardinal William Wakefield Baum für die Empfindungen, die er in seiner Grußansprache an mich zum Ausdruck gebracht hat, und ich möchte auf die hohe Bedeutung dieser Begegnung hinweisen, denn sie bestätigt – gewissermaßen »faßbar« – die Verbindung zwischen dem Versöhnungsauftrag des Priesters als desjenigen, der das Bußsakrament spendet, und dem Stuhl Petri. Hat Christus die Befugnis, die Pflicht, die Verantwortung und zugleich das Charisma, die Seelen von der Macht des Bösen, das heißt der Sünde und des Teufels, zu befreien, denn nicht dem Petrus und seinen Nachfolgern – den Brüdern im Bischofsamt und ihren Mitarbeitern, den Priestern – in universaler Weise übertragen?
In dieser Vorbereitungszeit auf das Osterfest der Erlösung und auf das Jubiläumsjahr kommt diesem Treffen auch ein Symbolwert zu als gelebte Gemeinschaft in der täglichen Mühe im Dienste der Menschen und ihrer ewigen Rettung. In Anbetracht dieser universalen Bedeutung sehe ich – wenn ich zu euch spreche, die ihr hier im Hause des Papstes versammelt seid – vor meinem geistigen Auge alle Priester der heiligen katholischen Kirche, wo immer sie auch leben und arbeiten, und an alle richte ich meine Botschaft mit großer Herzlichkeit.
2. Trotz der abwechslungsreichen und harmonischen Vielfalt seiner Inhalte und Zielsetzungen kreist das Jubeljahr vor allem um die Bekehrung des Herzens, die metanoia. Mit diesem Thema beginnt die öffentliche Predigttätigkeit Jesu im Evangelium (vgl. Mk 1,15). Schon im Alten Testament werden denjenigen, die sich bekehren, Rettung und Leben versprochen: »Habe ich etwa Gefallen am Tod des Schuldigen – Spruch Gottes, des Herrn – und nicht vielmehr daran, daß er seine bösen Wege verläßt und so am Leben bleibt?« (Ez 18,23). Das bevorstehende Große Jubeljahr feiert die Vollendung des zweiten Jahrtausends seit der Geburt Jesu, der in der Stunde seiner ungerechten Verurteilung zu Pilatus sagte: »Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege« (Joh 18,37). Und die von Jesus bescheinigte Wahrheit besteht darin, daß Er gekommen ist, um die Welt zu retten, denn sonst wäre sie verloren gewesen: »Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist« (Lk 19,10).
Der Herr wollte, daß in der Ökonomie des Neuen Testaments die Kirche universale sacra - mentum salutis sei. Das II. Vatikanische Konzil lehrt: »Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott« (Lumen gentium, 1). Es ist nämlich der Wille Gottes, daß die Vergebung der Sünden und die Rückkehr zur Freundschaft mit Gott vom Werk der Kirche vermittelt werden. »Was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein« (Mt 16,19), hat Jesus feierlich zu Simon Petrus und in ihm zu allen Päpsten, seinen Nachfolgern, gesagt. Denselben Auftrag hat Er dann auch den Aposteln und in ihnen den Bischöfen, ihren Nachfolgern, gegeben: »Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein« (Mt 18,18). Gleich am Abend des Auferstehungstages wird Jesus dieser Vollmacht durch die Ausgießung des Heiligen Geistes Wirkung verleihen: »Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20,23). Kraft dieses Mandats können die Apostel und ihre Nachfolger in priesterlicher Liebe von jenem Augenblick an in Demut und Wahrheit sagen: Ich spreche dich los von deinen Sünden.
Ich bin sehr zuversichtlich, daß das Heilige Jahr – wie es auch sein soll – ein einzigartig wirkungsvolles Kapitel der Heilsgeschichte sein wird. Sie findet ihren Höhepunkt und ihren letzten Sinn in Jesus Christus, denn in Ihm empfangen wir alle »Gnade über Gnade« (Joh 1,16), und »so wurde es uns gewährt, mit dem Vater versöhnt zu werden« (Bulle Incarnationis mysterium, 1). Deshalb vertraue ich darauf und bete darum, daß dank des großherzigen Dienstes der Beichtväter das Jubeljahr allen Gläubigen Gelegenheit gebe zu einem frommen, übernatürlich frohen und aufrichtigen Empfang des Sakramentes der Versöhnung.
3. Sicherlich kennt ihr die detaillierte Analyse des Katechismus der Katholischen Kirche zu diesem höchst wichtigen Thema. Bei diesem Treffen möchte ich jedoch einige wirklich wesentliche Punkte herausgreifen, die ihr gewiß auch den Gläubigen, die eurer pastoralen Fürsorge anvertraut sind, darlegen werdet.
Durch unseren Herrn Jesus Christus eingesetzt, wie es aus der oben angeführten Stelle des Johannesevangeliums klar her vorgeht, ist die sakramentale Beichte notwendig, um von den nach der Taufe begangenen Todsünden Vergebung zu erlangen. Wenn aber ein Sünder, von der Gnade des Heiligen Geistes berührt, auf Grund übernatürlicher Liebe Schmerz über seine Sünden empfindet, weil sie eine Beleidigung Gottes, des höchsten Gutes, sind, dann wird ihm die Vergebung der Sünden – auch der Todsünden – sofort zuteil. Die Voraussetzung dazu ist, daß er sich vornimmt, diese Sünden sakramental zu beichten, sobald er innerhalb einer angemessenen Zeitspanne die Möglichkeit dazu hat.
Denselben Vorsatz muß ein Büßer fassen, der sich schwerer Sünden schuldig gemacht hat und nur eine Generalabsolution empfängt ohne individuelle Beichte seiner Sünden beim Beichtvater. Dieser Vorsatz ist so notwendig, daß ohne ihn die Absolution ungültig ist, wie in can. 962 § 1 des Codex des kanonischen Rechtes und in can. 721 § 1 des Codex für die Orientalischen Kirchen vorgesehen.
Die läßlichen Sünden können auch außerhalb der sakramentalen Beichte vergeben werden; es ist aber sicherlich höchst nützlich, auch diese Sünden im Sakrament zu beichten. Unter den gebührenden Voraussetzungen erhält man dadurch nämlich nicht nur die Vergebung der Sünden, sondern auch die spezielle Hilfe der sakramentalen Gnade zur künftigen Vermeidung solcher Sünden. Es ist an dieser Stelle angezeigt, das Recht der Gläubigen auf die sakramentale Beichte und Absolution auch nur läßlicher Sünden zu bestätigen. Diesem Recht entspricht die Pflicht für den Beichtvater. Wir dürfen nicht vergessen, daß die sogenannte »Devotionsbeichte« die Schule gewesen ist, die die großen Heiligen geprägt hat.
Wenn man sich einer Todsünde bewußt ist, ist die vorherige sakramentale Beichte nötig, um rechtmäßig und fruchtbringend die Eucharistie zu empfangen. Zwar ist die Eucharistie die Quelle jeder Gnade, da sie ja die Vergegenwärtigung des rettenden Opfers von Kalvaria ist; als sakramentale Wirklichkeit jedoch ist sie nicht direkt auf die Vergebung der Todsünden ausgerichtet: Das hat das Konzil von Trient eindeutig und unmißverständlich festgelegt (13. Sitzung, Kap. 7 und entspr. Kanon, Denz. 1647 und 1655). Dadurch wurde gewissermaßen dem Wort Gottes selbst eine disziplinarische und rechtliche Gestalt gegeben: »Wer also unwürdig von dem Brot ißt und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon ißt und trinkt, ohne zu bedenken, daß es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er ißt und trinkt« (1 Kor 11,27–29).
4. Das Jubeljahr soll also – dank dem Bußsakrament – auf ganz besondere Weise das Jahr der großen Vergebung und der vollen Versöhnung sein. Gott aber, dem wir für die Versöhnung dankbar sind oder mit dem wir uns zu versöhnen hoffen, ist unser Vater: mein Vater, Vater aller Gläubigen, Vater aller Menschen. Daher erfordert und beinhaltet die Versöhnung mit Gott auch die Versöhnung mit den Brüdern, denn ohne die letztere wird uns die Vergebung Gottes nicht zuteil. Das hat uns Jesus in dem vollkommenen Gebet des Vaterunser gelehrt: »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.« Das Bußsakrament setzt eine großzügige, edle und tatkräftige Bruderliebe voraus und muß sie auch nähren.
Auf dieser Linie, zu höchster Vollkommenheit erhoben, lädt das Jubeljahr zu einer starken Solidarität ein in »einem wunderbaren Austausch geistlicher Güter, kraft dessen die Heiligkeit des einen den anderen zugute kommt, und zwar mehr als die Sünde des einen den anderen schaden kann. Es gibt Menschen, die geradezu ein Übermaß an Liebe, an ertragenem Leid, an Reinheit und Wahrheit zurücklassen, das die anderen einbezieht und aufrichtet. Es ist die Wirklichkeit der ›Stellvertreterschaf t‹, auf die sich das ganze Geheimnis Christi gründet« (Incarnationis mysterium, 10).
Durch das Bußsakrament versöhnt und dadurch Christus, dem Herrn und Erlöser, ähnlich gemacht, müssen wir uns »in sein heilbringendes Wirken und insbesondere in sein Leiden einbeziehen. Das besagt die bekannte Stelle aus dem Kolosserbrief: ›Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt‹ (1,24)« (vgl. ebd.).
5. Wenn die von der Sünde verursachten Spaltungen überwunden sind, festigt sich im Bußsakrament die Einheit der Kirche, die im Jubeljahr einen ganz erhabenen Ausdruck findet: Auch hier erkennen wir also die wesenseigene Verbindung zwischen dem Jubeljahr und dem Sakrament der Vergebung.
Zur sakramentalen Vergebung der Sünde bieten die Barmherzigkeit Gottes und die Vermittlung der Kirche noch ein wertvolles zusätzliches Geschenk an: den Erlaß auch der zeitlichen Strafe für die Sünde durch den Ablaß. Das schrieb ich in bezug auf das Jubiläumsjahr in der Verkündigungsbulle: »Die eingetretene Versöhnung mit Gott schließt nämlich nicht aus, daß gewisse Folgen der Sünde zurückgeblieben sind, von denen man geläutert werden muß. Gerade in diesem Bereich gewinnt der Ablaß, durch den das ›Vollgeschenk des göttlichen Erbarmens‹ zum Ausdruck gebracht wird, an Bedeutung« (Incarnationis mysterium, 9).
Jesus wurde geboren, ja schon im Mutterschoß empfangen, als Priester und Opfer, wie der Heilige Geist uns im Hebräerbrief lehrt (vgl. 10,5–7). Darin sind die Worte des Psalms ausdrücklich auf Jesus angewandt: »An Schlachtund Speiseopfern hast du kein Gefallen, Brandund Sühnopfer forderst du nicht. Doch das Gehör hast du mir eingepflanzt; darum sage ich: Ja, ich komme. In dieser Schriftrolle steht, was an mir geschehen ist. Deinen Willen zu tun, mein Gott, macht mir Freude, deine Weisung trag’ ich im Herzen« (Ps 40,7–9). Das Jubeljahr 2000 erinnert unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe daran, daß das Heil aus der Geburt des ewigen Priesters hervorgeht, der sich aus freiem Willen als Opfer hingab.
Die sel. Jungfrau Maria, die dem Wort Gottes die Menschheit des Priesters und Opferlamms geschenkt hat, erlange uns – so gering und arm wir auch sind –, in persönlicher Heiligkeit und in der Ausübung unseres Amtes der Vergebung seine Heilssendung zu leben. So dürfen wir als Werkzeuge Gottes den Sündern die Gnade, die Freude des Herzens und das hochzeitliche Gewand, das den Eintritt ins ewige Leben ermöglicht, zurückgeben.
All das, worauf ich in diesem Treffen mit euch hingewiesen habe, ist in der kurzen, wunderbaren sakramentalen Absolutionsformel ausgesprochen: »Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden.«
Der Apostolische Segen, den ich euch gerne erteile, sei ein wirksames Vorzeichen dieses Friedens sowohl für euch als auch für all jene, die der Herr eurem Amt anvertraut hat oder anvertrauen wird.
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