PIUS PP. XII
LETTERA AL VESCOVO DI PASSAVIA,
MONSIGNOR SIMONE CORRADO LANDERSDORFER*
Am bevorstehenden Pfingstfest findet in Ihrer Bischofsstadt anlässlich der Jahrhundertfeier der dortigen Kolpingsfamilie und der Einweihung ihres neuen Heims ein Treffen von Gesellen und Meistern aus den europäischen Ländern deutscher Zunge statt. Sie haben, Ehrwürdiger Bruder, Uns den Treu- und Ergebenheitsgruss Ihrer Kolpingsfamilie übermittelt, die um Unseren Segen für die Pfingstfeier des Kolpingswerkes bittet. Wir leihen dieser Bitte ein um so geneigteres Ohr, als Sie in Ihrem Schreiben die Mitarbeit der Söhne Adolf Kolpings am inneren Wiederaufbau des deutschen Volkes nach dem Zusammenbruch mit hohem Lob bedenken und Uns damit bestätigen, was Wir auch von anderer Seite hören.
Jahrhundertfeiern laden ein zur Rückschau auf die Grundkräfte, die dem gefeierten Werk seine Dauer verliehen haben. Und in der Tat, nur die immer wieder erfolgende Rückbesinnung auf die Ziele, die der Stifter eines Werkes ihm gesetzt hat, kann dessen Lebendigkeit und Blüte gewährleisten.
Nun hat der ehrwürdige Gründer der Gesellenvereine sein Werk aufgebaut auf zwei Einsichten und ihre Verwirklichung ihm als Ziel gesetzt. Die erste von ihnem lautet: Religion und Leben bilden eine Einheit. Der Trennung beider hat Kolping ein eindeutiges Nein entgegengerufen. Ihm war es eine Selbstverständlichkeit, dass der christliche Glaube das ganze Dasein zu durchfluten hat. Wo sozial Verwahrloste am Wege lagen, war die Kirche die Erstberufene, sich ihrer anzunehmen. Um Christi willen, aus der Verantwortung, die er als Priester Christus gegenüber trug, und aus Liebe zu Christus, hat Kolping die ihrem Schicksal überantworteten Wanderburschen von überallher im Gesellenheim gesammelt, um dort die christliche Erziehung des Elternhauses, die nur unterbrochen war, wiederaufzunehmen, oder aber, wo sie versagt hatte, im Ganzen zu ersetzen. Das Ziel war immer der ebenso lebens- und berufstüchtige, wie der charakterlich gereifte, durch und durch katholische Mensch. Dieses Ziel hat keine Änderung und keine Abschwächung erfahren. Die Schöpfung Adolf Kolpings wird bestehen, solange es ihr lebendig vor Augen schwebt, solange in ihr Religion und Leben jene Einheit bilden, aus der sie ihr Stifter ins Dasein gerufen hat.
Die zweite Einsicht, von der Adolf Kolping sich leiten liess, lautet: die Familie ist die Urzelle und das Vorbild alles Gemeinschaftslebens. Einer Gesellschaftsauffassung, welche die gemeinschaftbildenden Menschen nur kennt als Gütererzeuger und Güterverbraucher, die sich also erschöpft in Produktion und Konsum und damit jegliches Gemeinschaftsleben entseelt und atomisiert — einer solchen Auffassung ruft Kolping abermals ein entschiedenes Nein entgegen. Für ihn sind die christliche Familie, der sittlich gewertete Stand und Beruf, die gute Kameradschaft und Nachbarschaft die Grundlagen des Gemeinschaftslebens. Die Familie vor allem: Verfassung und Gesetz, sie mögen noch so volkommen sein, nützen nichts, wenn die Familie krank ist und versagt — wie oft hat Adolf Kolping diesem Gedanken Ausdruck verliehen! Seine Schöpfung, der « Gesellenverein », sollte im Grossen wie im Kleinen, als Ganzes und in seinen Zweigen, selbst Familie sein und die jungen Menschen darauf vorbereiten, Gründer und Väter echt christlicher Familien werden zu können. Diese doppelte Beziehung auf die Familie war seiner Stiftung wesentlich und muss ihr wesentlich bleiben. Sonst wäre sie nicht mehr das, als was Adolf Kolping sie ins Dasein gerufen hat.
Der « Gesellenverein » hat an Zeitgemässheit nicht verloren; er ist heute fast zeitgemässer als vor 100 Jahren. Dabei wird es von untergeordneter Bedeutung sein, wenn der Begriff des « Gesellen » bzw. « Meisters » einen gewissen Wandel erfährt. Worauf es ankommt, ist ein anderes: Mögen die Söhne Adolf Kolpings sich immer und lebendig bewusst sein, dass sie nicht irgend einen Verein mit einem profanen Zweck bilden, dass sie vielmehr vor eine hohe religiöse und soziale Aufgabe gestellt sind. Die Einsicht, dass die Erfüllung dieser Aufgabe heute noch viel schwieriger ist als vor ioo Jahren, mag für sie, für die geistlichen Präsides wie für die grosse Familie der Gesellen, nur ein Ansporn sein, ihr ganzes und bestes Wollen für das gesteckte Ziel einzusetzen. Wenn sie Beter sind wie ihr Vater Adolf Kolping, werden sie es mit Gottes Gnade auch heute erreichen.
Dass ihnen die Huld und Gnade Gottes in Fülle zuteil werde, als Unterpfand dessen erteilen Wir ihnen allen in herzlichem Wohlwollen den Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, den 19. Mai 1955.
PIUS PP. XII
*Discorsi e Radiomessaggi di Sua Santità Pio XII, XVII,
Diciassettesimo anno di Pontificato, 2 marzo 1954 - 1° marzo 1955, pp. 635 - 637
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