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ANSPRACHE VON PAPST PIUS XII.
AN DIE STUDENTEN UND PROFESSOREN DER
UNIVERSITÄT WIEN
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Thronsaal - Sonntag, 3. Juni 1956

 

Wir heißen Sie willkommen, geehrte Herren, die Sie der Weg aus Wien nach Rom und zu Uns geführt hat.

Sie widmen sich dem Studium und der Erforschung des kanonischen Rechts und der Rechtsgeschichte. Beide Gebiete, das erste von Natur aus notwendig, aber auch das zweite bringen Sie in Berührung mit dem Rechtsleben der katholischen Kirche.

Das Kirchenrecht ist nicht Selbstzweck. Es ist immer Mittel zu einem über ihm liegenden Ziel. Wie alles in der Kirche, steht es im Dienst der « salus animarum », und damit der Seelsorge. Es soll mithelfen, der Wahrheit und Gnade Jesu Christi die Wege in die Herzen der Menschen zu öffnen und zu ebnen.

Es ist aber deshalb nicht etwas zum inneren Gefüge, zum Wesen der Kirche nur von außen Hinzutretendes und nur Menschenwerk. Gewiss sind viele Canones nur Schutznormen, so etwa um den Glaubensbesitz vor Zersetzung, die Würde der Gnade und der Sakramente vor Entweihung zu hüten. Aber daneben gibt es Rechtsnormen, die in das kirchliche Gefüge selbst eingebaut sind, und zwar ihrer Substanz nach unmittelbar vom göttlichen Stifter der Kirche: Formen der Gliederung des mystischen Leibes Christi, wie im kirchlichen Verfassungsrecht, in den Bestimmungen über die Gewalt des Papstes und der Bischöfe. Christus hat seine Kirche gestiftet nicht als ungeformte Geistesbewegung, sondern als festgefügte Gemeinschaft.

Gewiss darf das Kirchenrecht die seelischen und übernatürlichen Werte, in deren Dienst es steht, nicht überwuchern. Man hat ihm wohl den Vorwurf gemacht, dass es das tue, und von "Verrechtlichung" der Kirche gesprochen. Aber einmal wird der Vorwurf zu oft erhoben gegen die Unbeugsamkeit, mit der die Kirche an der Unauflöslichkeit der gültig geschlossenen und vollzogenen christlichen Ehe festhält. Und doch handelt sie gerade in diesem Falle nicht aus juristischer Gefühllosigkeit und Härte, als ob sie die Tragik, die jenen Fällen oft innewohnt, nicht empfände, sondern einfach in treuer Handhabung des Eherechts, das ihr göttlicher Stifter selbst gesetzt hat und über das zu befinden die Kirche nicht zuständig ist.

Sodann brauchen Wir Ihnen, die Sie Juristen sind, nicht zu sagen, dass die spärlichen Gesetze der apostolischen Zeit nicht genügen würden, um heute eine Weltkirche von über 400 Millionen Gläubigen zu leiten. Immer dann, wenn die Kirche sich geographisch ausbreitete oder das religiöse Leben erstarkte und neue Blüten trieb, setzte auch, fast spontan, der weitere Ausbau der kirchlichen Rechtspflege ein, um den Strom jenes religiösen Lebens zu regeln und zu schützen.

Auch in der Schöpfung des Codex Iuris Canonici, des heutigen Rechtsbuches der Kirche, dürfen wir das Walten der Vorsehung erblicken; die Neuordnung des Kirchenrechts kam jedenfalls der räumlichen Ausbreitung und inneren Entfaltung der Kirche im 19. Jahrhundert, das hierin wohl keines seiner Vorgänger erreicht, sehr entgegen. Es ist dabei zu keiner "Verrechtlichung" der Kirche gekommen. Sie finden gerade heute ein religiöses Wollen, geistliche Kräfte und ein sakramentales Leben in der Welt der Gläubigen, wie sie mächtiger früher auch nicht, vielleicht überhaupt nie da waren.

Kirchenleben und Kirchenrecht gehören zusammen. Sinnbild dessen sei Ihnen der hl. Papst Pius X. Er war der Schöpfer des neuen kirchlichen Rechtsbuches, wie er die Quellen und Schleusen jenes sakramentalen Lebens geöffnet hat.

Wir wünschen Ihnen, geehrte Herren, wissenschaftlichen Erfolg und innere Bereicherung aus Ihrem Rechtsstudium und erteilen Ihnen in väterlichem Wohlwollen den Apostolischen Segen.

 

Copyright 1956© Libreria Editrice Vaticana


*Discorsi e Radiomessaggi di Sua Santità Pio XII, XVIII,
 18. Pontifikatsjahr, 2. März 1956 - 1. März 1957, SS. 259 - 260
 Tipografia Poliglotta Vaticana

 



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