BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN FRAU PROF. MARY ANN GLENDON,
PRÄSIDENTIN DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE
FÜR SOZIALWISSENSCHAFTEN ANLÄSSLICH DER
17. VOLLVERSAMMLUNG
An Ihre Exzellenz
Frau Professor Mary Ann Glendon
Präsidentin der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften
Ich freue mich, Sie und die Mitglieder der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften anläßlich der Abhaltung der 17. Vollversammlung mit dem Thema »Universale Rechte in einer diversifizierten Welt: Das Problem der Religionsfreiheit«, zu grüßen.
Wie ich bei verschiedenen Anlässen ausgeführt habe, hat die westliche christliche Kultur tiefe Wurzeln; es ist jene Kultur, die der Religionsfreiheit Leben und Raum gegeben hat und die weiter die verfassungsmäßig garantierte Religions- und Kultusfreiheit nährt, deren sich heute viele Völker erfreuen. Angesichts ihrer weithin systematischen Verweigerung durch die atheistischen Regime des 20. Jahrhunderts wurden diese Freiheiten von der internationalen Gemeinschaft in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen anerkannt. Heute sind diese menschlichen Grundrechte neuerlich von Haltungen und Ideologien bedroht, die die freie Religionsausübung zu behindern versuchen. Infolgedessen muß die Herausforderung zur Verteidigung und Förderung des Rechts auf Religions- und Kultusfreiheit in unseren Tagen erneut angesprochen werden. Ich bin der Akademie für ihren Beitrag zu dieser Debatte dankbar.
Die Sehnsucht nach Wahrheit und Sinn und eine Offenheit für das Transzendente sind tief in unsere menschliche Natur eingeschrieben; wir werden von unserer Natur dazu veranlaßt, Fragen nach der höchsten Bedeutung unserer Existenz nachzugehen. Vor vielen Jahrhunderten prägte Tertullian den Begriff »libertas religionis« (vgl. Apologeticum, 24,6), Religionsfreiheit. Er betonte, daß Gott in Freiheit verehrt werden müsse und daß es im Wesen der Religion liege, keinen Zwang auszuüben, »nec religionis est cogere religione« (Ad scapulam 2,2).
Da sich der Mensch der Fähigkeit zu einer freien persönlichen Entscheidung in der Wahrheit erfreut, und da Gott vom Menschen eine freie Antwort auf seinen Anruf erwartet, sollte das Recht auf Religionsfreiheit als ein Recht gesehen werden, das der grundlegenden Würde jeder menschlichen Person angeboren ist und der angeborenen Offenheit des menschlichen Herzens für Gott entspricht. Tatsächlich wird die echte Religionsfreiheit bewirken, daß der Mensch Erfüllung findet und so zum allgemeinen Wohl der Gesellschaft beiträgt.
Im Wissen um die Entwicklung in Kultur und Gesellschaft legte das Zweite Vatikanische Konzil eine neue anthropologische Grundlage für die Religionsfreiheit vor. Die Konzilsväter erklärten, daß alle Menschen »ihrer Würde gemäß gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten werden, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft« (Dignitatis humanae, 2). Die Wahrheit macht uns frei (vgl. Joh 8,32), und das ist dieselbe Wahrheit, die gesucht und frei angenommen werden muß. Das Konzil achtete darauf klarzustellen, daß diese Freiheit ein Recht ist, das natürlich jeder Mensch genießt und das deshalb auch vom Zivilrecht geschützt und gefördert werden sollte.
Natürlich hat jeder Staat ein souveränes Recht, seine eigene Gesetzgebung zu erlassen, und wird verschiedene Haltungen gegenüber der Religion im Gesetz zum Ausdruck bringen. So gibt es einige Staaten, die eine umfassende Religionsfreiheit in unserem Verständnis des Begriffs zulassen, während andere sie aus einer Vielzahl von Gründen – eingeschlossen ein Mißtrauen gegenüber der Religion selbst – einschränken. Der Heilige Stuhl fordert weiterhin die Anerkennung des menschlichen Grundrechtes auf Religionsfreiheit von seiten aller Staaten ein und ruft sie dazu auf, religiöse Minderheiten zu respektieren und, wenn nötig, zu schützen: Minderheiten, die zwar an einen anderen Glauben als den der sie umgebenden Mehrheit gebunden sind, aber trotzdem bestrebt sind, in Frieden mit ihren Mitbürgern zu leben und zum Wohl aller am zivilen und politischen Leben der Nation mitzuwirken.
Lassen Sie mich schließlich noch meine aufrichtige Hoffnung zum Ausdruck bringen, daß Ihre Fachkenntnisse in den Bereichen Recht, Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft in diesen Tagen darin zusammenlaufen werden, neue Einsichten über diese wichtige Frage hervorzubringen und so jetzt und in Zukunft reiche Früchte zu tragen.
Während dieser Zeit des Kirchenjahres rufe ich auf Sie die Fülle der österlichen Freude und des Friedens herab und erteile Ihnen, Bischof Sánchez Sorondo und allen Mitgliedern der Akademie meinen Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, 29. April 2011
BENEDICTUS PP. XVI
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