Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Wenn es um das Evangelium und um die Evangelisierungssendung geht, ist Paulus begeistert, geht er aus sich heraus. Er scheint nichts anderes zu sehen als diese Sendung, die der Herr ihm anvertraut hat. Alles in ihm ist dieser Verkündigung gewidmet, und er besitzt kein anderes Interesse als das Evangelium. Das ist die Liebe des Paulus, das Interesse des Paulus, der Beruf des Paulus: verkündigen. Er sagt sogar: »Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu verkünden« (1 Kor 1,17). Paulus interpretiert sein ganzes Dasein als einen Ruf zu evangelisieren, die Botschaft Christi zu vermitteln, das Evangelium zu vermitteln: »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« Und als er an die Christen von Rom schreibt, stellt er sich ganz einfach so vor: »Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, das Evangelium Gottes zu verkünden« (Röm 1,1). Das ist seine Berufung. Er ist sich also bewusst, »ausgesondert« zu sein, um allen das Evangelium zu bringen, und er kann nichts anderes tun als sich mit all seinen Kräften dieser Sendung zu widmen.
Man versteht daher die Traurigkeit, die Enttäuschung und sogar die bittere Ironie des Apostels gegenüber den Galatern, die in seinen Augen einen falschen Weg einschlagen, der sie in eine Sackgasse führen wird: Sie haben den falschen Weg eingeschlagen. Der Angelpunkt, um den sich alles dreht, ist das Evangelium. Paulus denkt nicht an die »vier Evangelien« wie wir es unmittelbar tun. Denn als er diesen Brief sendet, ist noch keines der vier Evangelien geschrieben worden. Für ihn ist das Evangelium das, was er verkündet und was »Kerygma« genannt wird, also Verkündigung. Und welche Verkündigung? Die Verkündigung des Todes und der Auferstehung Jesu als Quelle des Heils. Ein Evangelium, das mit vier Verben zum Ausdruck gebracht wird: »Christus ist für unsere Sünden ›gestorben‹, gemäß der Schrift, und ist ›begraben worden‹. Er ist am dritten Tag ›auferweckt worden‹, gemäß der Schrift, und ›erschien‹ dem Kephas« (1 Kor 15,3-5). Das ist die Verkündigung des Paulus, die Verkündigung, die uns allen Leben schenkt. Dieses Evangelium ist die Erfüllung der Verheißungen und das allen Menschen angebotene Heil. Wer es annimmt, wird mit Gott versöhnt, wird als wahres Kind angenommen und erhält als Erbe das ewige Leben.
Angesichts eines so großen Geschenks, das den Galatern gemacht wurde, kann der Apostel sich nicht erklären, wieso sie daran denken, ein anderes »Evangelium« anzunehmen, das viel- leicht anspruchsvoller, intellektueller ist... ein anderes »Evangelium«. Man beachte jedoch, dass diese Christen das von Paulus verkündigte Evangelium noch nicht verlassen haben. Der Apostel weiß, dass sie noch Zeit haben, keinen falschen Schritt zu machen, aber er ermahnt sie mit Nachdruck, mit großem Nachdruck. Seine erste Argumentation zielt direkt auf die Tatsache ab, dass die von den neuen Missionaren – jenen, die die Neuheit predigen – vorgenommene Verkündigung nicht das Evangelium sein kann. Ja, es ist sogar eine Verkündigung, die das wahre Evangelium ins Gegenteil verkehrt, weil sie es sie daran hindert, zu der Freiheit – ein Schlüsselwort – zu gelangen, die sie erworben hatten, als sie zum Glauben kamen. Die Galater sind noch »Anfänger«, und ihre Orientierungslosigkeit ist verständlich. Sie kennen die Komplexität des mosaischen Gesetzes noch nicht, und die Begeisterung, den Glauben an Christus anzunehmen, bringt sie dazu, diesen neuen Verkündigern Gehör zu schenken und sich vorzumachen, dass ihre Botschaft jene des Paulus ergänzt. Und dem ist nicht so.
Der Apostel kann jedoch nicht riskieren, dass in einem so entscheidenden Bereich Kompro- misse geschlossen werden. Das Evangelium ist nur eines, und zwar das, welches er verkündigt hat; ein anderes kann es nicht geben. Achtung! Paulus sagt nicht, dass seines das wahre Evangelium ist, weil er es verkündigt hat, nein! Das sagt er nicht. Das wäre anmaßend, es wäre Eitelkeit. Er sagt vielmehr, dass »sein« Evangelium – dasselbe, das die anderen Apostel an anderen Orten verkündigten – das einzig wahre ist, weil es das Evangelium Jesu Christi ist. Er schreibt: »Ich erkläre euch, Brüder und Schwestern: Das Evangelium, das ich verkündet habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi empfangen« (Gal 1,11-12).
So versteht man, warum Paulus sehr harte Worte gebraucht. Zweimal benutzt er den Ausdruck »verflucht«, der auf die Notwendigkeit verweist, das von der Gemeinschaft fernzuhalten, was ihre Grundlagen bedroht. Und dieses neue »Evangelium« bedroht die Grundlagen der Gemeinschaft. In diesem Punkt lässt der Apostel also keinen Raum für Verhandlungen: Er ist nicht verhandelbar. Die Wahrheit des Evangeliums lässt sich nicht verhandeln. Entweder empfängst du das Evangelium so wie es ist, wie es verkündigt wurde, oder du empfängst etwas anderes. Aber mit dem Evangelium kann man nicht handeln. Man kann keine Kompromisse schließen. Der Glaube an Jesus ist keine Ware, um die man feilschen kann: Er ist Heil, er ist Begegnung, er ist Erlösung. Er wird nicht billig verkauft.
Diese am Anfang des Briefes beschriebene Situation erscheint paradox, weil alle Subjekte, um die es geht, von guten Absichten beseelt zu sein scheinen. Die Galater, die den neuen Missionaren Gehör schenken, meinen, dass sie durch die Beschneidung dem Willen Gottes noch ergebener und daher Paulus noch gefälliger sein können. Die Feinde des Paulus scheinen von der Treue zur Tradition beseelt zu sein, die sie von den Vätern empfangen haben, und meinen, dass der echte Glaube in der Befolgung des Gesetzes besteht. Angesichts dieser höchsten Treue rechtfertigen sie sogar die Unterstellungen und Verdächtigungen gegen Paulus, der als wenig rechtgläubig gegenüber der Tradition betrachtet wird. Der Apostel selbst ist sich sehr bewusst, dass seine Sendung göttlicher Natur ist – sie wurde ihm persönlich von Christus selbst offenbart! – und ist daher getrieben von völliger Begeisterung für die Neuheit des Evangeliums, die eine radikale Neuheit, keine vorübergehende Neuheit ist: Es gibt keine Evangelien, die gerade »in Mode« sind. Das Evangelium ist immer neu, es ist die Neuheit.
Seine Hirtensorge bringt ihn dazu, streng zu sein, weil er die große Gefahr sieht, die über den jungen Christen schwebt. Aus diesem Labyrinth guter Absichten muss man sich also befreien, um die höchste Wahrheit zu erfassen, die sich als jene erweist, die der Person und der Verkündigung Jesu sowie seiner Offenbarung der Liebe des Vaters am besten entspricht. Das ist wichtig: unterscheiden zu können. Oft haben wir in der Geschichte irgendeine Bewegung gesehen, und wir sehen sie auch heute, die das Evangelium auf eine eigene Weise verkündigt, manchmal mit wahren eigenen Charismen; aber dann übertreibt sie und reduziert das ganze Evangelium auf die »Bewegung«. Und das ist nicht das Evangelium Christi: Das ist das Evangelium des Gründers, der Gründerin, und das kann anfangs schon helfen, trägt aber am Ende keine Früchte, weil es keine tiefen Wurzeln hat. Daher war Paulus’ klares und entschiedenes Wort heilsam für die Galater, und es ist heilsam auch für uns. Das Evangelium ist das Geschenk Christi an uns, er selbst offenbart es. Und das gibt uns Leben.
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APPELL
Ein Jahr nach der schrecklichen Explosion im Hafen von Beirut, der Hauptstadt des Libanon, die Tod und Zerstörung hervorgerufen hat, gehen meine Gedanken zu jenem geliebten Land, vor allem zu den Opfern, ihren Familien, den vielen Verletzten und zu allen, die ihr Zuhause und ihre Arbeit verloren haben; und viele haben den Lebensmut verloren.
Am Gebetstag für den Libanon, am 1. Juli dieses Jahres, haben wir uns gemeinsam mit den christlichen Religionsführern der Hoffnungen und Erwartungen des libanesischen Volkes, das müde und enttäuscht ist, angenommen und Gott um das Licht der Hoffnung gebeten, um die schwere Krise zu überwinden. Heute appelliere ich auch an die internationale Gemeinschaft und bitte sie, dem Libanon zu helfen, einen Weg der »Auferstehung« zu gehen – mit konkreten Gesten, nicht nur mit Worten, sondern mit konkreten Gesten. Ich hoffe, dass die von Frankreich und den Vereinten Nationen initiierte Konferenz, die gerade stattfindet, in diesem Sinne fruchtbar sein möge.
Liebe Libanesen, mein Wunsch, euch zu besuchen, ist groß, und ich bete unermüdlich für euch, auf dass der Libanon wieder zu einer Botschaft der Geschwisterlichkeit, zu einer Botschaft des Friedens für den gesamten Nahen Osten werden möge.
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Von Herzen grüße ich die Pilger deutscher Sprache. In dieser Ferienzeit wollen wir uns mehr um die Menschen um uns kümmern und so die Liebe bezeugen, die Gott für die ganze Menschheit hegt. Der Heilige Geist geleite uns auf all unsren Wegen.
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