ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
BEIM NEUJAHRSEMPFANG FÜR DAS AM HEILIGEN STUHL
AKKREDITIERTE DIPLOMATISCHE KORPS
Regia-Saal
Montag, 8. Januar 2018
Exzellenzen, meine Damen und Herren,
diese Begegnung ist ein schöner Brauch, denn sie gibt mir die Gelegenheit, während im Herzen die weihnachtliche Freude noch lebendig ist, Ihnen persönlich meine guten Wünsche für das vor kurzem begonnene Jahr zu übermitteln und meine Nähe und Verbundenheit mit den Völkern, die Sie vertreten, zum Ausdruck zu bringen. Ich danke dem Dekan des Diplomatischen Korps, Seiner Exzellenz Herrn Armindo Fernandes do Espírito Santo Vieira, Botschafter Angolas, für die ehrerbietigen Worte, die er eben im Namen des gesamten beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps an mich gerichtet hat. Besonders heiße ich die die Botschafter willkommen, die für diesen Anlass von außerhalb Roms gekommen sind. Ihre Zahl ist infolge der im vergangenen Mai stattgefundenen Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Republik der Union Myanmar gewachsen. Ebenso begrüße ich die immer zahlreicheren in Rom residierenden Botschafter, unter denen sich jetzt auch der Botschafter der Republik Südafrika befindet. Zugleich möchte ich besonders des Botschafters Kolumbiens, Guillermo León Escobar-Herrán, gedenken, der wenige Tage vor Weihnachten verstorben ist. Ich danke Ihnen für den ergiebigen und beständigen Austausch, den Sie mit dem Staatssekretariat und den anderen Dikasterien der Römischen Kurie pflegen; er ist ein Zeugnis für das Interesse der internationalen Gemeinschaft an der Sendung des Heiligen Stuhles und am Einsatz der katholischen Kirche in Ihren jeweiligen Ländern. In diesem Zusammenhang ist auch die Vertragstätigkeit des Heiligen Stuhls zu sehen, die im Februar des vergangenen Jahres zur Unterzeichnung der Rahmenvereinbarung mit der Republik Kongo geführt hat und im August zur Vereinbarung zwischen dem Staatssekretariat und der Regierung der Russischen Föderation über die Reisen ohne Visum der Inhaber diplomatischer Reisepässe.
In seiner Beziehung mit den zivilen Autoritäten strebt der Heilige Stuhl nur danach, das geistliche und materielle Wohl der menschlichen Person sowie das Gemeinwohl zu fördern. Die apostolischen Reisen, die ich im Laufe des vergangenen Jahres nach Ägypten, Portugal, Kolumbien, Myanmar und Bangladesch unternommen habe, waren Ausdruck dieses Anliegens. Anlässlich der Hundertjahrfeier der Erscheinungen der Muttergottes von Fatima habe ich mich als Pilger nach Portugal begeben, um die Heiligsprechung der Hirtenkinder Jacinta und Francisco Marto abzuhalten. Dort konnte ich den Glauben voll Begeisterung und Freude erleben, den die Jungfrau Maria in den vielen zu diesem Anlass zusammengekommenen Pilgern erweckt hat. Auch in Ägypten, Myanmar und Bangladesch konnte ich den örtlichen christlichen Gemeinschaften begegnen, die – obgleich zahlenmäßig sehr klein – aufgrund ihres Beitrags geschätzt werden, den sie für die Entwicklung und das zivile Zusammenleben der jeweiligen Länder leisten. Auch Treffen mit den Vertretern anderer Religionen haben nicht gefehlt, was bezeugt, wie die jeweiligen Besonderheiten nicht ein Hindernis für den Dialog sind, sondern der Lebenssaft, der das gemeinsame Streben nährt, die Wahrheit zu erkennen und die Gerechtigkeit zu üben. In Kolumbien habe ich schließlich die Bemühungen und den Mut dieses geliebten Volkes gelobt, das nach über einem halben Jahrhundert des inneren Konflikts von einer großen Sehnsucht nach Frieden durchdrungen ist.
Liebe Botschafter,
dieses Jahr ist der hundertste Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs, eines Konflikts, der das Angesicht Europas und der ganzen Welt mit dem Entstehen neuer Staaten an der Stelle der alten Reiche neu gezeichnet hat. Aus dem Trümmerhaufen des Weltkriegs kann man zwei Mahnungen ziehen, die die Menschheit leider nicht unmittelbar verstand, so dass nach zwanzig Jahren zu einem neuen Konflikt kam, der noch zerstörerischer als der vorherige sein sollte. Die erste Mahnung ist, dass Siegen niemals bedeutet, den bezwungenen Gegner zu demütigen. Der Friede wird nicht als Machtbestätigung des Siegers über den Besiegten aufgebaut. Es ist nicht das Gesetz der Angst, das von künftigen Angriffen abhält, sondern vielmehr die Kraft der ruhigen Vernünftigkeit, die zum Dialog anregt und zum gegenseitigen Verständnis, um die Kontraste zu versöhnen[1]. Daraus leitet sich die zweite Mahnung ab: Der Friede wird gefestigt, wenn sich die Nationen in einem Klima der Gleichheit gegenübertreten können. Der damalige US-amerikanische Präsident Thomas Woodrow Wilson erkannte dies – genau wie heute – vor einem Jahrhundert, als er die Einrichtung eines allgemeinen Bundes der Nationen vorschlug, der zum Ziel haben sollte, für alle Staaten, egal ob groß oder klein, gegenseitige Garantien für Unabhängigkeit und territoriale Integrität zu erreichen. Es wurden so die ideellen Grundlagen jener multilateralen Diplomatie gelegt, die im Laufe der Jahre eine wachsende Rolle gespielt hat und zunehmend Einfluss auf die gesamte internationale Gemeinschaft gewonnen hat.
Auch die Beziehungen unter den Nationen werden – so wie die zwischenmenschlichen Beziehungen – »von der Norm der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der tatkräftigen Solidarität und der Freiheit bestimmt«[2]. Dies bringt das Prinzip mit sich, »dass alle Staaten, was ihre natürliche Würde angeht, untereinander gleichgestellt sind«[3], wie auch die Anerkennung der beiderseitigen Rechte verbunden mit den jeweiligen Pflichten[4]. Grundlegende Voraussetzung dieser Haltung ist die Bejahung der Würde jeder menschlichen Person; deren Verachtung oder Nichtanerkennung führt zu Akten der Barbarei, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen[5]. Andererseits bildet »die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt«[6], wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterstreicht.
Unser heutiges Treffen möchte ich diesem wichtigen Dokument widmen, das vor siebzig Jahren von die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 angenommen wurde. Von den Menschenrechten zu sprechen bedeutet nämlich für den Heiligen Stuhl vor allem, immer wieder auf die zentrale Stellung der Würde des Menschen, der von Gott gewollt und als sein Abbild ihm ähnlich geschaffen ist, hinzuweisen. Wenn der Herr Jesus Christus Aussätzige heilte, Blinde sehend machte, mit Zöllnern verkehrte, das Leben der Ehebrecherin verschonte und dazu einlud, den verwundeten Reisenden zu pflegen, hat er damit selbst zu verstehen gegeben, dass jeder Mensch unabhängig von seiner körperlichen, geistigen und gesellschaftlichen Lage Respekt und Beachtung verdient. Aus christlicher Sicht besteht also eine bedeutende Beziehung zwischen der Botschaft des Evangeliums und der Anerkennung der Menschenrechte gemäß dem Geist der Verfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Diese Rechte ziehen ihre Voraussetzung aus der Natur, die das Menschengeschlecht objektiv vereint. Sie sind formuliert worden, um die Mauern niederzureißen, welche die Menschheitsfamilie trennen, und das zu fördern, was die Soziallehre der Kirche ganzheitliche menschliche Entwicklung nennt, da sie »jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge hat […] bis hin zur gesamten Menschheit«[7]. Eine reduktionistische Sicht der menschlichen Person öffnet hingegen den Weg für die Verbreitung von Ungerechtigkeit, sozialer Ungleichheit und Korruption.
Wir müssen jedoch feststellen, dass im Laufe der Zeit, vor allem im Anschluss an die sozialen Unruhen der 68er-Jahre die Interpretation einiger Rechte fortschreitend derart abgeändert wurde, dass diese eine Vielzahl „neuer Rechte“ einschließt, die oft im Widerspruch zueinander stehen. Dies hat nicht immer die Förderung von freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Nationen begünstigt[8], weil strittige Auffassungen der Menschenrechte entstanden sind, die zu der Kultur vieler Länder im Gegensatz stehen. Diese fühlen sich in ihren gesellschaftlich-kulturellen Traditionen nicht respektiert, sondern angesichts der real zu bewältigenden Erfordernisse alleingelassen. Es kann deshalb die auf gewisse Weise paradoxe Gefahr bestehen, dass im Namen der Menschenrechte moderne Formen von ideologischer Kolonisierung der Starken und Reichen zum Schaden der Armen und Schwachen entstehen. Zugleich ist es angebracht, sich vor Augen zu halten, dass die Traditionen einzelner Völker nicht als Vorwand benutzt werden dürfen, um die gebührende Beachtung der von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierten Grundrechte zu unterlassen.
Siebzig Jahre später schmerzt es festzustellen, wie viele Grundrechte noch heute verletzt werden – als erstes vor allen anderen das Recht auf Leben, auf Freiheit und Unantastbarkeit jeder menschlichen Person[9]. Nicht nur Krieg oder Gewalt verletzen sie. In unserer Zeit gibt es subtilere Formen: Ich denke vor allem an die unschuldigen Kinder, die noch vor ihrer Geburt „weggeworfen“ werden; man will sie zuweilen nicht, nur weil sie krank oder missgebildet sind oder aufgrund des Egoismus der Erwachsenen. Ich denke an die alten Menschen, die oftmals ebenso „weggeworfen“ werden, vor allem wenn sie krank sind und als Last betrachtet werden. Ich denke an die Frauen, die oft Gewalt und Unterdrückung auch im Kreis ihrer eigenen Familien erleiden müssen. Ich denke dann an die Opfer des Menschenhandels, der das Verbot jeder Form von Sklaverei verletzt. Wie viele Menschen, insbesondere auf der Flucht vor Armut und Krieg, werden zum Gegenstand dieses von skrupellosen Leuten betriebenen schmutzigen Handels?
Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu verteidigen bedeutet auch, das Recht auf die Gesundheit der Person und ihrer Familienangehörigen zu schützen. Heute besitzt dieses Recht Implikationen, die die ursprüngliche Absicht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte überschreiten, die darauf abzielte, das Recht eines jeden auf die notwendigen medizinischen Behandlungen und sozialen Dienstleistungen zu gewährleisten[10]. In dieser Hinsicht hoffe ich, dass man sich in den international zuständigen Plattformen dafür einsetzt, dass vor allem ein einfacher Zugang zu den Behandlungen und Gesundheitsdiensten für alle gefördert wird. Es ist wichtig, die Bemühungen für eine Politik zu bündeln, welche die Bereitstellung von überlebensnotwendigen Medikamenten für Notleidende zu erschwinglichen Preisen gewährleistet. Dabei darf jedoch nicht die Forschung und Weiterentwicklung von Behandlungen vernachlässigt werden, die, auch wenn sie für den Markt wirtschaftlich gesehen unbedeutend sind, für die Rettung von menschlichem Leben aber entscheidend sind.
Das Recht auf Leben zu verteidigen bedeutet auch, sich aktiv für den Frieden einzusetzen, der allgemein als einer der höchsten und wichtigsten Werte angesehen wird, den es zu wahren gilt. Und dennoch stecken schwerwiegende lokale Konflikte verschiedene Regionen der Welt in Brand. Die gemeinsamen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, der humanitäre Einsatz von internationalen Organisationen und die unablässigen Rufe nach Frieden aus den blutgetränkten Kampfgebieten scheinen angesichts der schrecklichen Logik des Krieges immer wirkungsloser zu bleiben. Dieses Szenario darf unseren Wunsch nach Frieden und unsere Bemühungen dafür nicht schwächen, denn wir wissen, dass ohne ihn die ganzheitliche Entwicklung des Menschen nicht zu erreichen ist.
Die vollständige Abrüstung und die ganzheitliche Entwicklung stehen in einer engen Wechselbeziehung. Die Suche nach Frieden als Voraussetzung für Entwicklung schließt wiederum mit ein, Ungerechtigkeit zu bekämpfen und gewaltlos die Konfliktgründe auszumerzen, die zu Kriegen führen. Die Verbreitung von Waffen verschlimmert dagegen eindeutig die Konfliktsituationen und verursacht enorme Kosten auf menschlicher und materieller Ebene, die dann die Entwicklung und die Suche nach einem dauerhaften Frieden bedrohen. Ein historische Ergebnis wurde letztes Jahr mit der Annahme des Atomwaffenverbotsvertrags am Ende der Konferenz der Vereinten Nationen zur Verhandlung eines rechtlich bindenden Instruments für das Verbot von Atomwaffen erreicht. Es zeigt, wie die Sehnsucht nach Frieden stets lebendig ist. Die Förderung einer Friedenskultur für eine ganzheitliche Entwicklung erfordert beharrliche Bemühungen im Hinblick auf die Abrüstung und die Begrenzung des Einsatzes von Waffengewalt bei der Lösung internationaler Angelegenheiten. Ich möchte daher eine ruhige und möglichst breit angelegte Debatte über das Thema anregen, welche Polarisierungen der internationalen Gemeinschaft bezüglich einer so empfindlichen Frage vermeidet. Jedes auch noch so geringe Bemühen in diese Richtung stellt schon einen wichtigen Erfolg für die Menschheit dar.
Der Heilige Stuhl seinerseits hat – auch im Namen und seitens des Staates der Vatikanstadt – den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet und ratifiziert, gemäß der vom heiligen Johannes XXIII. in Pacem in terris formulierten Sichtweise, nach der »Gerechtigkeit, gesunde Vernunft und Rücksicht auf die Menschenwürde dringend [fordern], dass der allgemeine Rüstungswettlauf aufhört; dass ferner die in verschiedenen Staaten bereits zur Verfügung stehenden Waffen auf beiden Seiten und gleichzeitig vermindert werden; dass Atomwaffen verboten werden«[11]. Wenn es in der Tat »auch kaum glaublich ist, dass es Menschen gibt, die es wagen möchten, die Verantwortung für die Vernichtung und das Leid auf sich zu nehmen, die ein Krieg im Gefolge hat, so kann man doch nicht leugnen, dass unversehens und unerwartet ein Kriegsbrand entstehen kann«[12].
Der Heilige Stuhl bekräftigt daher die feste Überzeugung, »dass die Streitigkeiten, die unter Umständen zwischen den Völkern entstehen, nicht durch Waffengewalt, sondern durch Verträge und Verhandlungen beizulegen sind«[13]. Andererseits kann ich angesichts der beständigen Herstellung von immer fortschrittlicheren und „verbesserten“ Waffen und des Andauerns zahlreicher Konfliktherde – was ich mehrfach „dritter Weltkrieg in Stücken“ genannt habe – die Worte meines heiligen Vorgängers nur mit Nachdruck wiederholen: »Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, das sich rühmt, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten. […] Trotz allem ist zu hoffen, die Völker werden durch freundschaftliche wechselseitige Beziehungen und Verhandlungen die Bande der menschlichen Natur besser anerkennen, durch die sie aneinandergeknüpft sind; sie werden ferner deutlicher einsehen, dass es zu den hauptsächlichen Pflichten der menschlichen Natur gehört, darauf hinzuwirken, dass die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen und den Völkern nicht der Furcht, sondern der Liebe gehorchen sollen, denn der Liebe ist es vor allem eigen, die Menschen zu jener aufrichtigen, äußeren und inneren Verbundenheit zu führen, aus der für sie so viel Gutes hervorzusprießen vermag.«[14]
In dieser Hinsicht ist es von besonderer Dringlichkeit, jeden Versuch des Dialogs auf der koreanischen Halbinsel zu unterstützen, um neue Wege zur Überwindung der aktuellen Gegensätze zu finden, das gegenseitige Vertrauen zu stärken und dem koreanischen Volk und der ganzen Welt eine Zukunft des Friedens zu sichern.
Ebenso wichtig ist es, dass die verschiedenen laufenden Friedensinitiativen für Syrien in einem konstruktiven Klima gestärkten Vertrauens unter den Kontrahenten fortgesetzt werden können, um dem langen Konflikt endlich ein Ende zu setzen, der das Land in Mitleidenschaft gezogen hat und entsetzliche Leiden verursacht hat. Es ist der allgemeine Wunsch, dass nach so viel Zerstörung die Zeit des Wiederaufbaus gekommen ist. Aber noch mehr als Gebäude ist es notwendig, die Herzen wieder aufzubauen und das Netz des gegenseitigen Vertrauens neu zu knüpfen, das für das Florieren einer jeglichen Gesellschaft eine unverzichtbare Voraussetzung darstellt. Man muss sich also darum bemühen, die rechtlichen und politischen Bedingungen wie auch die Sicherheitslage zu fördern, damit das gesellschaftlichen Leben wiederaufgenommen wird, in dem jeder Bürger unabhängig von seiner Volks- oder Religionszugehörigkeit an der Entwicklung des Landes teilnehmen kann. In diesem Sinne ist es lebensnotwendig, dass die religiösen Minderheiten geschützt werden; darunter sind die Christen, die seit Jahrhunderten aktiv zur Geschichte Syriens beitragen.
Es ist ebenso von Bedeutung, dass die zahlreichen Flüchtlinge, die in den Nachbarländern – vor allem in Jordanien, im Libanon und in der Türkei – Aufnahme und Zuflucht gefunden haben, in ihre Heimat zurückkehren können. Der Einsatz dieser Länder und ihre Anstrengungen in dieser schwierigen Situation verdienen die Anerkennung und die Unterstützung der ganzen internationalen Gemeinschaft. Diese ist zugleich aufgerufen, sich darum zu bemühen, die Voraussetzungen für die Heimkehr der aus Syrien stammenden Flüchtlinge zu schaffen. Diese Verpflichtung muss sie konkret auf sich nehmen, beginnend vom Libanon, damit dieses werte Land weiterhin eine „Botschaft“ des Respekts und des Zusammenlebens bleibt wie auch ein für die gesamte Region und die ganze Welt nachzuahmendes Beispiel.
Der Wille zum Dialog ist auch im geschätzten Irak vonnöten, damit seine verschiedenen Volksgruppen und Religionsgemeinschaften den Weg der Versöhnung und des friedlichen Zusammenlebens und der Zusammenarbeit wiederfinden können, desgleichen im Jemen und in anderen Teilen der Region sowie in Afghanistan.
Im Anschluss an die Spannungen der letzten Wochen denke ich besonders an die Israeli und Palästinenser. Der Heilige Stuhl bekundet seine Trauer um alle, die in den kürzlich stattgefundenen Gefechten ihr Leben verloren haben. Indessen erneuert er seinen eindringlichen Aufruf, jede Initiative zu erwägen, um eine Zuspitzung der Gegensätze zu vermeiden, und lädt dazu ein, die gemeinsame Verpflichtung zur Achtung des Status quo von Jerusalem, der Christen, Juden und Moslems heiligen Stadt, in Übereinstimmung mit den entsprechenden Resolutionen der Vereinten Nationen einzuhalten. Siebzig Jahre Auseinandersetzungen machen es dringender denn je, eine politische Lösung zu finden, die es ermöglicht, dass in der Region zwei unabhängige Staaten innerhalb von international anerkannten Grenzen bestehen. Selbst unter Schwierigkeiten bleibt der Wille zum Dialog und zur Wiederaufnahme der Verhandlungen der Königsweg, um endlich zu einer friedlichen Koexistenz der beiden Völker zu gelangen.
Auch in den innerstaatlichen Bereichen sind Offenheit und Bereitschaft zur Begegnung wesentlich. Ich denke vor allem an das geschätzte Venezuela, das eine immer dramatischere und noch nie dagewesene politische und humanitäre Krise durchmacht. Während der Heilige Stuhl dazu auffordert, unverzüglich die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung abzudecken, hofft er, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, damit die für dieses Jahr geplanten Wahlen zu einer Lösung der bestehenden Konflikte führen können. Möge man so mit wiedererlangter Gelassenheit in die Zukunft blicken können.
Die internationale Gemeinschaft darf auch das Leid in vielen Teilen Afrikas nicht vergessen, besonders im Südsudan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Somalia, in Niger und in der Zentralafrikanischen Republik, wo das Recht auf Leben von einer wahllosen Ausbeutung der Rohstoffe, von Terrorismus und von dem Anwachsen bewaffneter Gruppierungen sowie von andauernden Konflikten bedroht ist. Es genügt nicht, sich über so viel Gewalt zu entrüsten. Stattdessen muss jeder in seiner eigenen Umgebung bemüht sein, die Ursachen von Armut zu beseitigen und Brücken der Brüderlichkeit zu bauen, die eine Grundvoraussetzung für einen wahrhaft menschlichen Fortschritt sind.
Auch in der Ukraine muss man sich gemeinsam darum bemühen, die Brücken wieder aufzubauen. Im soeben zu Ende gegangenen Jahr hat der Konflikt, der das Land heimsucht, zahlreiche neue Opfer gefordert und der Bevölkerung großes Leid zugefügt, vor allem den Familien, die in den Kriegsgebieten wohnen und Angehörige, darunter oft Kinder und Alte, verloren haben.
Gerade über die Familie will ich besonders sprechen. Das Recht, eine Familie zu gründen – sie ist »die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat«[15] –, ist denn auch von der Erklärung von 1948 anerkannt. Leider wissen wir, dass die Familie besonders im Westen als eine veraltete Institution betrachtet wird. Der Stabilität eines endgültigen Projektes zieht man heute flüchtige Bindungen vor. Aber ein Haus, das auf brüchige und unbeständige Bindungen gebaut wird, ist wackelig. Man braucht dazu einen Felsen, in den man feste Grundmauern verankern kann. Dieser Felsen ist die Gemeinschaft der treuen und unauflöslichen Liebe, die Mann und Frau eint. Eine Gemeinschaft von schlichter, einfacher Schönheit mit heiligem und unzerstörbaren Charakter und mit einer naturgegebenen Aufgabe für die Gesellschaftsordnung[16]. Ich halte es deshalb für dringlich, wirkliche politische Fördermaßnahmen zugunsten der Familie, von der unter anderem die Zukunft und der Fortschritt der Staaten abhängt, zu ergreifen. Ohne die Familie wird es keine Gesellschaft geben, die den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist. Die Vernachlässigung der Familie hat eine weitere dramatische Konsequenz, die in einigen Gegenden besonders ausgeprägt ist: das Sinken der Geburtenraten. Wir leben in einem wahren demographischen Winter! Das ist das Kennzeichen einer Gesellschaft, die die Herausforderungen der Gegenwart nur mit Mühe angeht und deshalb immer mehr die Zukunft fürchtet und sich dann in sich selbst verschließt.
Gleichzeitig dürfen wir die Familien nicht vergessen, die aufgrund von Armut, Krieg und Migration zerrissen sind. Viel zu häufig sehen wir das Drama von Kindern, die alleine die Grenzen von Süd nach Nord überschreiten, oft als Opfer des Menschenhandels.
Heute wird viel über Flüchtlinge und Migration gesprochen, manchmal nur, um alteingesessene Ängste zu schüren. Wir dürfen nicht vergessen, dass es immer schon Migrationen gegeben hat. In der jüdisch-christlichen Tradition ist die Heilsgeschichte wesentlich eine Geschichte von Wanderungen. Außerdem gehört die Bewegungsfreiheit, also auch die Freiheit, das eigene Land zu verlassen und wieder zurückzukehren, zu den Grundrechten des Menschen[17]. Wir müssen darum auf eine falsche Rhetorik auf diesem Gebiet verzichten und von der grundliegenden Tatsache ausgehen, dass es sich hier vor allem um Menschen handelt.
Das wollte ich in meiner Botschaft zum Weltfriedenstag am vergangenen 1. Januar unter dem Titel „Migranten und Flüchtlinge: Menschen auf der Suche nach Frieden“ unterstreichen. Auch wenn man zugestehen muss, dass nicht immer alle von den besten Absichten geleitet werden, darf man nicht vergessen, dass der Großteil der Migranten lieber im eigenen Land bleiben würde. Sie sind jedoch »aufgrund von Diskriminierung, Verfolgung, Armut und Umweltzerstörung gezwungen […] ihr Land zu verlassen. […] Die Aufnahme des Anderen erfordert konkretes Engagement, eine Kette von Unterstützung und Wohlwollen, eine wache und verständnisvolle Aufmerksamkeit. Ebenso verlangt sie einen verantwortlichen Umgang mit neuen komplexen Situationen, die manchmal zu den zahlreichen bereits bestehenden Problemen hinzukommen, und mit den Ressourcen, die stets begrenzt sind. Wenn die Regierenden mit Besonnenheit vorgehen, sind sie imstande, praktische Maßnahmen zu ergreifen, um aufzunehmen, zu fördern, zu schützen und zu integrieren, und auf diese Weise, „soweit es das wahre Wohl ihrer Gemeinschaft zulässt, dem Vorhaben derer entgegenzukommen, die sich einer neuen Gemeinschaft anschließen wollen“ (Pacem in terris, 57). Sie haben eine klare Verantwortung gegenüber der Bevölkerung in ihren Ländern, deren ordentliche Rechte und harmonische Entwicklung sie gewährleisten müssen, damit sie nicht wie der törichte Bauherr erscheinen, der falsche Berechnungen angestellt hat und nicht in der Lage war, den Turm fertigzustellen, dessen Bau er begonnen hatte (Vgl. Lk 14, 28-30).«[18]
Ich möchte nochmals den Verantwortlichen jener Staaten danken, die sich in diesen Jahren bemüht haben, den zahlreichen Flüchtlingen an ihren Grenzen Unterstützung zu gewähren. Ich denke vor allem an nicht wenige Länder in Asien, Afrika und in Amerika, die viele Menschen aufnehmen und unterstützen. In lebendiger Erinnerung habe ich die Begegnung mit einigen Angehörigen des Volkes der Rohingya in Dakka. Ich möchte noch einmal den Autoritäten von Bangladesch für ihre Hilfsleistungen auf ihrem Gebiet danken.
Ferner möchte ich Italien besonderen Dank aussprechen, das in den vergangenen Jahren ein offenes und großmütiges Herz gezeigt hat und auch positive Beispiele von Integration aufzeigen konnte. Mein Wunsch ist, dass die Schwierigkeiten des Landes in den vergangenen Jahren, dessen Folgen noch andauern, nicht zur Abschottung oder zur Ausschließung führen mögen, sondern vielmehr zu einer Wiederentdeckung der Wurzeln und Traditionen, welche die reiche Geschichte der Nation gespeist haben und von unschätzbarem Wert für die ganze Welt sind. Ebenso danke ich weiteren europäischen Staaten für ihren Einsatz, besonders Griechenland und Deutschland. Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Flüchtlinge und Migranten nach Europa wollen, weil sie wissen, dass sie dort Frieden und Sicherheit finden können. Frieden und Sicherheit sind übrigens die Früchte eines langen Weges, der mit den Idealen der Gründerväter des europäischen Projektes nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Anfang genommen hat. Europa muss auf dieses Erbe stolz sein, das auf bestimmten Prinzipien und einer Sicht des Menschen gründet, das von seiner zweitausendjährigen, von der christlichen Auffassung der menschlichen Person inspirierten Geschichte herrührt. Die Ankunft der Flüchtlinge sollte Europa dazu anspornen, das eigene kulturelle und religiöse Erbe wiederzuentdecken. Wenn es sich der Werte bewusst wird, auf die es erbaut wurde, dann mag es sowohl die eigenen Traditionen wachhalten als auch weiterhin ein gastfreundlicher Ort sein, der Frieden und Entwicklung verspricht.
Im vergangenen Jahr haben sich Regierungen, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft gegenseitig beraten bezüglich der Grundprinzipien, der Prioritäten und der geeigneten Maßnahmen angesichts der Migrationsströme und der anhaltenden Lage der Flüchtlinge. Im Anschluss an die Erklärung von New York zu Flüchtlingen und Migranten 2016 haben die Vereinten Nationen wichtige Vorbereitungsprozesse zur Umsetzung von zwei internationale Pakte (Global Compacts) hinsichtlich der Flüchtlinge bzw. einer sicheren, geordneten und geregelten Migration in die Wege geleitet.
Der Heilige Stuhl hofft, dass diese Initiativen mit den bald beginnenden Verhandlungen die Früchte bringen mögen, die einer immer stärker miteinander verflochtenen Weltgemeinschaft, die auf dem Prinzip der Solidarität und gegenseitigen Hilfe gründet, entsprechen. Im heutigen internationalen Kontext fehlen weder die Möglichkeiten noch die Mittel, um jedem Mann und jeder Frau dieser Erde die Lebensbedingungen zu garantieren, die der Würde der menschlichen Person entsprechen.
In der Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag habe ich vier „Eckpfeiler“ für das Handeln vorgeschlagen: »aufnehmen, schützen, fördern und integrieren«[19]. Ich möchte mich besonders mit dem letzten beschäftigen, bezüglich dessen es verschiedene gegensätzlichen Einstellungen gibt, die sich aus ebenso verschiedenen Bewertungen, Erfahrungen, Ängsten und Überzeugungen speisen. „Integration“ ist „ein zweiseitig ausgerichteter Prozess“ mit gegenseitigen Rechten und Pflichten. Wer jemanden aufnimmt, muss dessen ganzheitliche menschliche Entwicklung fördern. Wer aufgenommen wird, muss sich den Regeln des Landes, das ihn beherbergt, unbedingt anpassen und dessen Identitätsprinzipien respektieren. Jeder Integrationsprozess muss ins Zentrum der Normen, die die verschiedenen Aspekte des politischen und sozialen Lebens betreffen, immer den Schutz und die Förderung der Person stellen, besonders wenn ihre Lage verletzlich ist.
Der Heilige Stuhl wird nicht in Entscheidungen eingreifen, die den Staaten zustehen. Sie tragen nämlich die erste Verantwortung zur Aufnahme, die sie im Licht der jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation und ihrer je eigenen Aufnahme- und Integrationskapazitäten wahrnehmen. Dennoch fühlt sich der Heilige Stuhl verpflichtet, auf die Prinzipien Menschlichkeit und Brüderlichkeit „hinzuweisen“, denn diese begründen jede Gesellschaft, die sich durch Zusammenhalt und Harmonie auszeichnet. In dieser Hinsicht darf man die Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften als Institutionen wie auch auf der Ebene der Verbände nicht vergessen, da sie eine wertvolle Rolle spielen können: zur Unterstützung der Betreuung und Förderung, im Bereich der sozialen und kulturellen Vermittlung sowie der Versöhnung und Integration.
Zu den Menschenrechten, an die ich heute erinnern will, gehört auch das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, welches die Freiheit einschließt, die Religion zu wechseln.[20] Bekanntlich ist die Religionsfreiheit leider oft nicht gewährleistet und nicht selten wird die Religion zum Anlass genommen, neue Formen von Extremismus ideologisch zu rechtfertigen, oder zu einem Vorwand, um sozial auszugrenzen, wenn nicht gar die Gläubigen in gewisser Form zu verfolgen. Die Heranbildung einer inklusiven Gesellschaft benötigt als ihre Voraussetzung eine ganzheitliche Betrachtung der menschlichen Person. Diese wird sich wirklich angenommen fühlen, wenn sie in allen Dimensionen ihrer Identität, auch ihrer religiösen, anerkannt und akzeptiert wird.
Schließlich möchte ich die Wichtigkeit des Rechtes auf Arbeit wieder in Erinnerung rufen. Es gibt weder Frieden noch Entwicklung, wenn der Mensch daran gehindert wird, persönlich mit seiner eigenen Arbeit zum Gemeinwohl beizutragen. Es ist schmerzlich zu sehen, wie in vielen Teilen der Welt die Arbeit ein seltenes Gut ist. Mitunter gibt es – gerade für die Jugendlichen – geringe Möglichkeiten, Arbeit zu finden. Oft ist es einfach, sie zu verlieren, und zwar nicht nur wegen der Auswirkungen wechselnder Wirtschaftszyklen, sondern auch wegen des zunehmenden Einsatzes von immer perfekteren und genaueren Technologien und Maschinen, die in der Lage sind, den Menschen zu ersetzen. Wenn man also einerseits eine ungerechte Verteilung der Arbeitsmöglichkeiten feststellen kann, ist andererseits die Tendenz vorhanden, von den Werktätigen immer drückendere Arbeitsrhythmen zu verlangen. Die von der Globalisierung diktierte Forderung nach Profit hat zu einer schrittweisen Reduzierung der Ruhezeiten und -tage geführt. Damit haben wir eine grundlegende Dimension des Lebens verloren, nämlich die Ruhe, die es dem Menschen erlaubt, sich nicht nur körperlich, sondern auch geistig zu erholen. Gott selbst hat am siebten Tag geruht: Er segnete ihn und heiligte ihn, »denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte« (Gen 2,3). Im Wechsel von Mühe und Erholung hat der Mensch Teil an der „Heiligung der Zeit“, die Gottes Werk ist, und adelt so die eigene Arbeit, weil er sie aus dem Einerlei eines sich immer wiederholenden rastlosen Alltags herausholt.
Ein besonderer Grund zur Sorge sind sodann die von der Internationalen Arbeitsorganisation veröffentlichen Daten bezüglich der wachsenden Zahl an arbeitenden Kindern und an Opfern neuer Formen von Sklaverei. Die Plage der Kinderarbeit beeinträchtigt weiter ernsthaft die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder, nimmt ihnen die Freuden der Kindheit und fordert unschuldige Opfer. Wir können nicht meinen, eine bessere Zukunft zu planen, oder wünschen, inklusivere Gesellschaften zu schaffen, solange wir Wirtschaftsmodelle weiterführen, die bloß auf reinen Profit ausgerichtet sind und die Ausbeutung Schwächerer, wie zum Beispiel Kinder, beinhalten. Die strukturellen Ursachen dieser Plage zu beseitigen sollte für Regierungen und internationale Organisationen eine Priorität darstellen. Sie sind aufgerufen, ihre Anstrengungen zu verstärken, um integrierte Strategien und aufeinander abgestimmte Politiken durchzuführen, damit die Kinderarbeit in all ihren Formen ein Ende findet.
Exzellenzen, meine Damen und Herren,
wenn ich einige der Rechte der Allgemeinen Erklärung von 1948 in Erinnerung gerufen habe, soll will ich doch nicht einen damit eng verbundenen Gesichtspunkt weglassen: Jedes Individuum hat auch Pflichten gegenüber der Gesellschaft, um »den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen«[21]. Beim angemessenen Hinweis auf die Rechte jedes Menschen muss in Betracht gezogen werden, dass jeder von uns Teil eines größeren Leibes ist. Wie bei jedem menschlichen Leib, so geht es auch unserer Gesellschaft gut, wenn jedes Mitglied seine Aufgabe erfüllt und sich bewusst ist, dass es dem Gemeinwohl dient.
Eine besonders dringende Pflicht ist heute die Sorge um unsere Erde. Wir wissen, dass die Natur auch von sich aus grausam sein kann, ohne dass der Mensch dafür verantwortlich ist. Das haben wir im vergangenen Jahr bei den Erdbeben gesehen, die verschiedene Regionen der Welt getroffen haben, insbesondere in den letzten Monaten in Mexiko und im Iran mit zahlreichen Opfern; oder auch bei der Gewalt der Wirbelstürme, die verschiedene Länder der Karibik heimgesucht haben und bis an die US-amerikanische Küste gelangt sind oder die erst vor kurzem über die Philippinen hinweggezogen sind. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es auch eine hauptsächliche Verantwortung des Menschen im Zusammenspiel mit der Natur gibt. Der Klimawandel mit dem globalen Temperaturanstieg und die damit verbundenen zerstörerischen Auswirkungen sind auch Folgen des menschlichen Handelns. Wir müssen daher gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, den kommenden Generationen eine schönere und lebenswertere Welt zu hinterlassen. Dafür müssen wir daran arbeiten, im Licht der 2015 in Paris getroffenen Verpflichtungen die Abgasemissionen, die für die Atmosphäre schädlich sind als auch der menschlichen Gesundheit schaden, zu reduzieren.
Der Geist, der die Einzelnen und die Staaten bei dieser Aufgabe beseelen muss, kann mit dem der Erbauer der mittelalterlichen Kathedralen in ganz Europa verglichen werden. Diese gewaltigen Bauten erzählen, wie wichtig die Teilnahme eines jeden an einem Werk ist, dass die Grenzen der Zeit überdauert. Der Baumeister an einer Kathedrale wusste, dass er die Vollendung seines Werkes nicht erleben würde. Trotzdem hat er kräftig mitgeholfen, denn er verstand sich als Teil eines Projektes, das seinen Kindern zu Gute kommen sollte und die es dann ihrerseits für ihre Kinder verschönern und erweitert würden. Jeder Mann und jede Frau dieser Erde – und besonders wer Regierungsverantwortung trägt – soll diesen Geist des Dienens und der generationsübergreifenden Solidarität pflegen und so ein Zeichen der Hoffnung für unsere zerrissene Welt sein.
Mit diesen Überlegungen verbinde ich erneut meinen Wunsch für jeden von Ihnen, für Ihre Familien und Ihre Völker, dass das neue Jahr voll Freude, Hoffnung und Frieden sei. Danke.
[1]Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963), 67.
[2]Ebd., 47.
[3]Ebd., 49.
[4]Vgl. ebd., 51.
[5]Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (10. Dezember 1948), Präambel.
[6]Ebd.
[7] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 14.
[8]Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel.
[9]Vgl. ebd., Art. 3.
[10]Vgl. ebd., Art. 25.
[11] Pacem in terris, 60.
[12]Ebd.
[13]Ebd., 67.
[14]Ebd.
[15] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 16.
[16] Vgl. Paul VI., Ansprache beim Besuch der Verkündigungsbasilika in Nazareth (5. Januar 1964).
[17] Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 13.
[19] Ebd., 4.
[20]Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 18.
[21] Ebd., Art. 29.
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