BEGEGNUNG MIT DER GEMEINSCHAFT DER FOKOLARBEWEGUNG
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS
Vorplatz des Heiligtums Maria Theotokos in Loppiano (Florenz)
Donnerstag, 10. Mai 2018
Liebe Brüder im Bischofsamt,
Autoritäten und ihr alle!
Danke für euren freundlichen Empfang! Ich begrüße jeden einzelnen und danke Maria Voce für ihre Einführung… Klar, alles ganz klar! Man merkt, dass sie klare Vorstellungen hat!
Ich freue mich sehr, heute hier bei euch in Loppiano zu sein, in dieser kleinen »Stadt«, die weltbekannt ist, weil sie aus dem Evangelium heraus entstanden ist und sich aus dem Evangelium nähren will. Und daher wird sie als Wahlheimat und Inspirationsort vieler anerkannt, die Jünger Jesu sind, auch von Brüdern und Schwestern anderer Religionen und Überzeugungen. In Loppiano fühlen sich alle zuhause!
Ich wollte kommen, um sie zu besuchen, auch weil sie – wie ihre geistige Mutter, die Dienerin Gottes Chiara Lubich, hervorgehoben hat – ein Bild der Sendung der Kirche heute sein will, so wie das Zweite Vatikanische Konzil sie umschrieben hat. Und ich freue mich, mit euch einen Dialog zu führen, um im Hören auf den Plan Gottes das Projekt von Loppiano immer deutlicher hervortreten zu lassen, im Dienst der neuen Etappe des Zeugnisses und der Verkündigung des Evangeliums Jesu, zu dem der Heilige Geist uns heute ruft.
Ich kannte die Fragen natürlich! Und jetzt antworte ich auf die Fragen. Ich habe sie alle hier eingefügt.
Erste Frage:
Heiliger Vater, guten Tag. Wir haben Maria Voce soeben von einem Gesetz von Loppiano sprechen hören: die wechselseitige Liebe, das neue Gebot des Evangeliums. Und in diesen Jahren haben wir es sehr ernst genommen und versucht, dafür zu sorgen, dass es nicht nur eine private Verpflichtung ist, sondern eine kollektive Verpflichtung, eine Verpflichtung aller. Dass Loppiano auf dieser Verpflichtung, die wechselseitige Liebe zu leben, gegründet sein soll. Denn noch 1980, vor einigen Jahren, als wir etwas jünger waren und damals viele Menschen da waren – und heute hier sind –, hat Chiara uns vorgeschlagen, einen echten Pakt zu schließen: also diese Verpflichtung aufzuschreiben und sie zu unterzeichnen. Und das erneuern wir jeden Tag und schlagen es den Menschen vor, die zu uns kommen, und sei es nur für einen Tag, denn nur so wird man zu Bürgern von Loppiano. Heiliger Vater, das »neue Gebot« zu leben ist der Ausgangspunkt und auch der Zielpunkt unsereschristlichen Lebens: das Ziel, nach dem wir streben wollen. Nach der Gründungszeit, die wir mit Chiara erlebt haben, erleben wir jetzt eine neue Phase. Für einige ist die Zeit der Begeisterung vielleicht vorüber. Es ist zweifellos schwieriger, die Wege zu erkennen, die beschritten werden müssen, um die Prophezeiung der Anfänge konkret umzusetzen. Wie sollen wir, Heiliger Vater, diesen Augenblick leben?
Papst Franziskus:
Die erste Frage stellt ihr mir, die »Pioniere« von Loppiano. Ihr habt euch als erste, vor über 50 Jahren und in den folgenden Jahrzehnten immer weiter, in dieses Abenteuer gestürzt. Ihr habt eure Heimat, euer Zuhause und eure Arbeitsplätze verlassen, um hier euer Leben zu verbringen und diesen Traum zu verwirklichen. Zunächst einmal danke ich euch: Danke für das, was ihr getan habt, danke für euren Glauben an Jesus! Er ist es, der dieses Wunder vollbracht hat, und ihr habt den Glauben [hinzugefügt]. Und der Glaube lässt Jesus wirken. Daher wirkt der Glaube Wunder, weil er Jesus Raum lässt, und er vollbringt Wunder, eines nach dem anderen. So ist das Leben!
Für euch »Pioniere« und für alle Bewohnern von Loppiano möchte ich die Worte wiederholen, die der Hebräerbrief an eine christliche Gemeinde richtet, die einen ähnlichen Abschnitt ihres Weges erlebte wie ihr: »Erinnert euch an die früheren Tage, in denen ihr als Erleuchtete einen harten Leidenskampf auf euch genommen habt […]. Ihr habt […] auch den Raub eures Vermögens mit Freuden hingenommen, da ihr wusstet, dass ihr einen besseren und bleibenden Besitz habt. Werft also eure Zuversicht« – eure »parrhesia« heißt es hier – »nicht weg – sie hat großen Lohn! Was ihr braucht, ist Ausdauer« – »hypomoné« ist das Wort, das er gebraucht, also die tägliche Last auf den Schultern tragen –, »damit ihr den Willen Gottes erfüllt und die Verheißung erlangt« (10,32-36).
Es sind zwei Schlüsselwörter, aber im Rahmen der Erinnerung. Jene »deuteronomische« Dimension des Lebens: die Erinnerung. Wenn jemand – ich meine nicht ein Christ, sondern irgendein Mann oder eine Frau – der Erinnerung einen Riegel vorschiebt, dann beginnt er zu sterben. Bitte: Erinnerung. Der Autor des Hebräerbriefes sagt: »Erinnert euch an die früheren Tage…« Mit diesem Rahmen der Erinnerung kann man leben, kann man atmen, kann man auch vorangehen und Frucht tragen. Aber wenn du keine Erinnerung hast… Ein Baum kann Früchte tragen, weil der Baum Wurzeln hat: Er ist kein Entwurzelter. Aber wenn du keine Erinnerung hast, dann bist du ein Entwurzelter, eine Entwurzelte, dann wird es keine Früchte geben. Erinnerung: Das ist der Rahmen des Lebens. Das sind also zwei Schlüsselworte der christlichen Gemeinschaft in diesem Text: »parrhesia« und »hypomoné«. Mut, Offenheit und ertragen, ausharren, die tägliche Last auf den Schultern tragen.
Im Neuen Testament bedeutet »parrhesia« den Lebensstil der Jünger Jesu: den Mut und die Aufrichtigkeit beim Bezeugen der Wahrheit und gleichzeitig das Vertrauen auf Gott und auf seine Barmherzigkeit. Auch das Gebet muss mit »parrhesia « geschehen. Gott die Dinge »ins Gesicht« sagen, mit Mut. Denkt daran, wie unser Vater Abraham gebetet hat, als er den Mut hatte, Gott zu bitten, über die Zahl der Gerechten in Sodom zu »verhandeln«: »Und wenn es 30 wären?… Und wenn es 25 wären?… Und wenn es 15 wären?« Jener Mut, mit Gott zu ringen! Und der Mut des Mose, des großen Freundes Gottes, der ihm ins Gesicht sagt: »Wenn du dieses Volk vernichtest, vernichtest du auch mich.« Nur Mut. Im Gebet mit Gott ringen. Wir brauchen »parrhesia«, »parrhesia « im Leben, im Handeln und auch im Gebet.
Die »parrhesia« bringt die grundlegende Eigenschaft im christlichen Leben zum Ausdruck: das Herz Gott zuwenden, an seine Liebe glauben (vgl. 1 Joh 4,16), damit seine Liebe jede falsche Furcht vertreibt, jede Versuchung, sich im ruhigen Leben, in der Bürgerlichkeit oder sogar in einer subtilen Scheinheiligkeit zu verstecken: alles Würmer, die die Seele zerfressen. Man muss den Heiligen Geist um Offenheit, Mut, »parrhesia« bitten, aber stets vereint mit Achtung und Zärtlichkeit, um die großen und schönen Werke Gottes zu bezeugen, die er in uns und unter uns vollbringt. Und auch in den Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft muss man stets aufrichtig, offen, freimütig sein – nicht ängstlich oder faul oder heuchlerisch. Nein, offen. Sich nicht absondern, um Zwietracht zu säen, um zu murren, sondern sich bemühen, als aufrichtige und mutige Jünger in Liebe und Wahrheit zu leben. Das Säen von Zwietracht zerstört die Kirche, wie ihr wisst, zerstört die Gemeinschaft, zerstört das eigene Leben, weil es auch dich vergiftet. Und jene, die vom Geschwätz leben, die stets übereinander murren, von denen sage ich gerne – ich sehe es so –, dass sie »Terroristen« sind, weil sie übereinander herziehen. Aber über jemanden herzuziehen, um ihn zu zerstören, bedeutet, wie ein Terrorist zu handeln: Er geht hin mit der Bombe, wirft sie, zerstört, und dann geht er ruhig weg. Nein. Offen, konstruktiv, mutig in der Nächstenliebe. Und dann das andere Wort: »hypomoné«, das wir übersetzen können mit »darunter-stehen«, ertragen: bleiben und lernen, die schwierigen Situationen zu meistern, vor die das Leben uns stellt. Der Apostel Paulus bringt mit diesem Wort die Beständigkeit und die Entschlossenheit zum Ausdruck, die Entscheidung für Gott und für das neue Leben in Christus voranzutragen. Es geht darum, an dieser Entscheidung festzuhalten, auch um den Preis von Schwierigkeiten und Widrigkeiten, im Wissen, dass diese Beständigkeit, diese Entschlossenheit und diese Geduld Hoffnung wachsen lassen. So sagt Paulus. Und die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen (vgl. Röm 5,3-5). Behalte das fest im Gedächtnis: Die Hoffnung lässt nie zugrunde gehen! Nie lässt sie zugrunde gehen! Für den Apostel ist die Grundlage der Beharrlichkeit die Liebe Gottes, die in unsere Herzen eingegossen ist durch die Gabe des Heiligen Geistes: eine Liebe, die uns vorausgeht und uns fähig macht, mit Beharrlichkeit, Ruhe, Positivität, Phantasie zu leben… und auch mit etwas Humor, selbst in den schwierigsten Augenblicken.
Bittet um die Gnade des Humors. Er ist die menschliche Haltung, die der Gnade Gottes am nächsten kommt. Der Humor. Ich habe einen heiligen Priester kennengelernt, der immer alle Hände voll zu tun hatte. Er war immer beschäftigt… – aber nie hörte er auf zu lächeln. Und weil er diesen Sinn für Humor hatte, sagten jene, die ihn kannten, über ihn: »Der kann über die anderen lachen, über sich selbst lachen und sogar über den eigenen Schatten lachen!« So ist der Humor! Außerdem lädt der Hebräerbrief ein: »Erinnert euch an die früheren Tage«, er fordert also dazu auf, im Herzen und im Verstand das Feuer der Erfahrung, aus dem heraus alles entstanden ist, neu zu entfachen. Chiara Lubich hat den von Gott kommenden Impuls gespürt, Loppiano zu gründen – und dann die weiteren Siedlungen, die in verschiedenen Teilen der Welt entstanden sind –, als sie eines Tages die Benediktinerabtei Einsiedeln betrachtete, mit ihrer Kirche und dem Kreuzgang der Mönche, aber auch mit der Bibliothek, der Schreinerei, den Feldern… Dort, in der Abtei, steht Gott im Mittelpunkt des Lebens, im Gebet und in der Feier der Eucharistie, aus der die Brüderlichkeit, die Arbeit, die Kultur, die Ausstrahlung des Lichts und der gesellschaftlichen Kraft des Evangeliums inmitten der Menschen hervorgeht und sich nährt. Und so spürte Chiara, als sie die Abtei betrachtete, den Impuls, etwas Ähnliches ins Leben zu rufen, in neuer und moderner Form, in Übereinstimmung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, vom Charisma der Einheit ausgehend: der Entwurf einer neuen Stadt im Geiste des Evangeliums.
Eine Stadt, in der vor allem die Schönheit des Gottesvolkes deutlich wird, im Reichtum und in der Vielfalt seiner Mitglieder, der verschiedenen Berufungen, der gesellschaftlichen und kulturellen Ausdrucksformen, ein jeder im Dialog und im Dienst an allen. Eine Stadt, deren Herz die Eucharistie ist, Quelle der Einheit und des immer neuen Lebens, und die sich den Augen derer, die sie besuchen, auch in ihrem laikalen und alltäglichen Gewand zeigt, inklusiv und offen: mit der Feldarbeit, den unternehmerischen und industriellen Tätigkeiten, den Bildungseinrichtungen, den Häusern für Gäste und alte Menschen, den Künstlerateliers, den Musikgruppen, den modernen Kommunikationsmitteln…
Eine Familie, in der sich alle als Söhne und Töchter des einen Vaters erkennen und bemüht sind, untereinander und gegenüber allen das Gebot der gegenseitigen Liebe zu leben. Nicht um ungestört außerhalb der Welt zu leben, sondern um hinauszugehen, anderen zu begegnen, sich um andere zu kümmern, um mit vollen Händen den Sauerteig des Evangeliums in den Teig der Gesellschaft zu werfen, vor allem dort, wo er am nötigsten ist, wo man auf die Freude des Evangeliums wartet und darum bittet: in der Armut, im Leiden, in der Prüfung, in der Suche, im Zweifel. Das Charisma der Einheit ist ein von der Vorsehung geschenkter Impuls und eine mächtige Hilfe, die dem Evangelium entsprechende Mystik des Wir zu leben, also gemeinsam unterwegs zu sein in der Geschichte der Männer und Frauen unserer Zeit, gleichsam »ein Herz und eine Seele« (Apg 4,32), einander entdeckend und einander konkret liebend als »Glieder, die zueinander gehören« (Röm 12,5). Darum hat Jesus zum Vater gebetet: »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin« (Joh 17,21). Und er hat uns in sich selbst den Weg dahin gezeigt bis zur völligen Selbsthingabe in der abgrundtiefen Entäußerung des Kreuzes (vgl. Mk 15,34; Phil 2,6-8).
Das ist die Spiritualität des »Wir«. Ihr könnt mit euch selbst und auch mit den anderen zum Spaß einen Test machen. Ein Priester, der hier ist – mehr oder weniger verborgen – hat diesen Test mit mir gemacht. Er hat zu mir gesagt: »Sagen Sie mir, Vater, was ist das Gegenteil von ›Ich‹, der Gegensatz zum ›Ich‹?« Und ich bin in die Falle getappt und habe sofort gesagt: »Du.« Und er hat zu mir gesagt: »Nein, das Gegenteil von jedem Individualismus, sowohl des ›Ich‹ als auch des ›Du‹, ist ›Wir‹. Der Gegensatz ist ›Wir‹.« Diese Spiritualität des Wir, die ihr voranbringen sollt, rettet uns vor jedem Egoismus und vor jedem egoistischen Interesse. Die Spiritualität des Wir. Es ist nicht nur eine geistliche Tatsache, sondern eine konkrete Wirklichkeit mit wunderbaren Folgen – wenn wir sie leben und wenn wir mit Authentizität und Mut ihre verschiedenen Dimensionen ausschöpfen: auf gesellschaftlicher, kultureller, politischer, wirtschaftlicher Ebene… Jesus hat nicht nur die Einzelperson erlöst, sondern auch die sozialen Beziehungen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 178). Diese Tatsache ernst zu nehmen bedeutet, ein neues Antlitz der Stadt der Menschen zu formen nach dem Liebesplan Gottes. Loppiano ist berufen, das zu sein. Und es kann mit Vertrauen und Realitätssinn versuchen, es immer besser zu werden. Das ist das Wesentliche. Und von hier muss man immer wieder neu beginnen.
Das ist die Antwort auf die erste Frage: Immer wieder neu beginnen, aber bei dieser Wirklichkeit, die lebendig ist. Nicht bei den Theorien, nein, bei der Wirklichkeit, dabei, wie man lebt. Und wenn man die Wirklichkeit authentisch lebt, dann ist sie wirklich ein Glied in dieser Kette, die uns hilft voranzugehen.
Zweite Frage:
Guten Tag, Papst Franziskus! Ich bin Xavier und komme aus Kolumbien. Vor allem danke ich Ihnen für Ihre konkrete Liebe zu unserem Volk, das leidet, und für die Hoffnung, die Sie uns schenken. Ich mache ein Masterstudium in Wirtschafts- und Politikwissenschaften an der Hochschule »Sophia«, die ihren Sitz hier in Loppiano hat. Lieber Papst Franziskus, in der Ansprache an die Generalversammlung der Fokolar-Bewegung (2014) haben Sie uns eingeladen, »Schule zu machen «, um »neue Männer und Frauen zu formen «, »eine Schule der Menschlichkeit […], die ihr Maß nimmt an der Menschheit Jesu.« Loppiano will eine »Stadt und Schule« sein, wo weder die Rollen noch der Altersunterschied oder kulturelle Unterschiede, sondern nur die Liebe untereinander jeden anderen aufbauen kann. Wir wollen, dass Jesus, der Gott-Mit-Seinem-Volk, uns erzieht und uns in die Welt sendet. Welchen frischen, kreativen Beitrag können Ihrer Meinung nach die hier in Loppiano vorhandenen Bildungszentren sowie eine akademische Einrichtung wie die »Sophia« entwickeln, um Führungskompetenz aufzubauen, die neue Wege eröffnen kann?
Papst Franziskus:
In Loppiano lebt man die Erfahrung, gemeinsam in synodalem Stil, als Gottesvolk unterwegs zu sein. Und das ist die solide und unverzichtbare Grundlage von allem: die Schule des Gottesvolkes, wo der einzige Meister lehrt und leitet (vgl. Mt 23,10) und wo die Dynamik des gegenseitigen Zuhörens und des Gabenaustausches zwischen allen herrscht. Von hier können die Ausbildungswege, die in Loppiano aus dem Charisma der Einheit hervorgegangen sind, neue Impulse schöpfen, durch die Phantasie der Liebe bereichert werden und sich den Impulsen des Heiligen Geistes und der Geschichte gegenüber öffnen: die geistliche Ausbildung zu den verschiedenen Berufungen; die Berufsausbildung, die Ausbildung zum wirtschaftlichen und politischen Handeln; die Ausbildung zum Dialog in seinen verschiedenen ökumenischen und interreligiösen Ausdrucksformen und mit Menschen unterschiedlicher Überzeugungen; die kirchliche und kulturelle Ausbildung. Und das im Dienst aller, mit einem Blick, der die ganze Menschheit umfasst, begonnen bei jenen, die auf irgendeine Weise in die existentiellen Randgebiete verbannt sind. Loppiano als offene Stadt, Loppiano als Stadt im Aufbruch. In Loppiano gibt es keine Randgebiete. Es ist ein großer Reichtum, dass in Loppiano alle diese Ausbildungszentren zur Verfügung stehen.
Es ist ein großer Reichtum! Ich empfehle euch, ihnen neuen Schwung zu verleihen, indem ihr sie zu weiteren Horizonten hin öffnet und sie auf die Grenzgebiete ausrichtet. Insbesondere ist es wesentlich, den Ausbildungsplan auszuarbeiten, der die einzelnen Wege miteinander verbindet, die Kinder, Jugendliche, Familien, Menschen mit verschiedenen Berufungen ganz konkret betreffen. Die Grundlage und der Schlüssel von allem muss der »Ausbildungspakt« sein, der allen diesen Wegen zugrunde liegt und in der Nähe und im Dialog seine bevorzugte Methode hat. Und hier ist ein Wort, das auch für mich ein Schlüsselwort ist: »Nähe«. Man kann kein Christ sein, ohne Nächster zu sein, ohne eine Haltung der Nähe zu haben, denn die Nähe ist das, was Gott hergestellt hat, als er seinen Sohn gesandt hat. Zuvor hatte Gott sie hergestellt, als er das Volk Israel führte und das Volk fragte: »Sag mir, hast du ein anderes Volk gesehen, dessen Götter so nahe sind, wie ich dir nahe bin?« So fragt Gott. Die Nähe, das Nahsein. Und dann, als er seinen Sohn sendet, damit er uns näher kommt – einer von uns wird – mehr zum Nächsten wird. Das ist ein Schlüsselwort im Christentum und in eurem Charisma. Nähe.
Außerdem muss man sich dazu erziehen, gemeinsam die drei Sprachen zu üben: die Sprache des Kopfes, des Herzens und der Hände. Das heißt, man muss lernen, gut zu denken, gut zu fühlen und gut zu arbeiten. Ja, auch die Arbeit, denn – wie Pasquale Foresi schrieb, der bei der Umsetzung des Plans von Loppiano eine zentrale Rolle gespielt hat – »sie ist nicht nur ein Mittel, um zu leben, sondern etwas, das unserem Menschsein innewohnt und daher auch ein Mittel, um die Wirklichkeit kennenzulernen, das Leben zu verstehen: Sie ist Werkzeug der wirklichen und effektiven menschlichen Bildung.« Das ist wichtig – die drei Sprachen –, denn wir haben die – nicht gesunde – Idee der Aufklärung übernommen, dass Bildung darin besteht, den Kopf mit Begriffen zu füllen. Und je mehr du weißt, desto besser bis du. Nein. Die Erziehung muss Kopf, Herz und Hände betreffen. Dazu erziehen, gut zu denken, nicht nur Begriffe zu lernen, sondern gut zu denken; dazu erziehen, gut zu fühlen; dazu erziehen, gut zu handeln. So dass diese drei Sprachen miteinander verbunden sind: damit du das denkst, was du fühlst und tust; damit du fühlst, was du denkst und tust; damit du das tust, was du fühlst und denkst, in Einheit. Das heißt erziehen.
Den Einfluss und die Übertragung dieses vielversprechenden Bemühens auf eine größere Ebene bezeugen zwei Wirklichkeiten, die in den letzten Jahren in Loppiano entstanden sind: der Unternehmerpool »Lionello Bonfanti«, Zentrum zur Ausbildung und Verbreitung der zivilen und gemeinschaftlichen Wirtschaft; und die akademische Grenzerfahrung der Hochschule »Sophia«, die vom Heiligen Stuhl errichtet wurde. Eine örtliche Niederlassung von ihr wird – darüber freue ich mich aufrichtig – bald in Lateinamerika ihre Arbeit aufnehmen. Es ist wichtig, dass es in Loppiano eine Hochschule gibt, die – wie ihr Name schon sagt – für jene bestimmt ist, die die Weisheit suchen, und deren Ziel der Aufbau einer Kultur der Einheit ist. Kultur der Einheit. Ich habe nicht gesagt, der Gleichförmigkeit. Nein. Die Gleichförmigkeit ist das Gegenteil der Einheit! Die Hochschule spiegelt von ihrer Gründungsinspiration ausgehend die Linien wider, die ich in der kürzlich veröffentlichen Konstitution Veritatis gaudium entworfen habe, wo ich zu einer weisen und mutigen Erneuerung der akademischen Studien aufgefordert habe. Und zwar, um einen sachkundigen und prophetischen Beitrag zu bieten zur missionarischen Wandlung der Kirche sowie zum Verständnis unseres Planeten als eines einzigen Vaterlands und der Menschheit als eines einzigen Volkes, das aus vielen Völkern besteht und ein gemeinsames Haus bewohnt. Vorwärts, macht weiter so!
Dritte Frage:
Loppiano soll nicht in sich selbst verschlossen bleiben, sondern dazu beitragen, eine stärker vereinte Welt aufzubauen. Daher sind hier bei uns, Heiliger Vater, einige Freunde, die Migranten sind. Sie mussten das Haus, ihr Zuhause und ihre Heimatländer verlassen, aber sie haben in Loppiano ihr Zuhause gefunden. Guten Tag, Heiliger Vater, wir kommen von der Elfenbeinküste, aus Mali, aus Kamerun, aus Nigeria, und nach einer langen Reise sind wir aus unseren Ländern in Italien angekommen und dann nach Loppiano gezogen. Seit über einem Jahr leben wir Seite an Seite. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, Sprachen und Traditionen, muslimische und christliche Religionen verschiedener Kirchen. Man kann sich vorstellen, dass bei uns zuhause das Leben nicht einfach war. Das Leben in Loppiano hat uns geholfen, die Schwierigkeiten zu überwinden und uns als Geschwister zu betrachten. »Neu beginnen« war ein Wort, das uns sehr geholfen hat. Ich ergreife die Gelegenheit, um allen italienischen Autoritäten, die uns aufgenommen haben, zu danken. Es ist eine große Ehre für uns, hier zu sein und Ihnen diese Grußworte vorzulesen und Ihnen zu danken. Wir schließen Sie in unser Gebet ein. Heiliger Vater, in den über 50 Jahren der Existenz von Loppiano hat Chiara Lubich es mit verschiedenen Namen bezeichnet: Stadt des Evangeliums und Stadt der Schule, Stadt auf dem Berg und Stadt der Freude, Stadt des Dialogs und Mariapoli, Stadt Mariens: All diese Worte haben unsere Schritte begleitet und begleiten sie weiterhin. Und daher möchten wir heute auch Sie, Heiliger Vater, um ein Wort bitten. Können Sie uns sagen, was unsere »Sendung« ist bei der Etappe der Neuevangelisierung? Und welche Antwort können wir auf die Herausforderungen unserer Zeit als Gelegenheit des Wachstums für alle geben?
Papst Franziskus:
Ich möchte den Blick zum Horizont erheben und euch einladen, ihn zusammen mit mir zu erheben, um mit vertrauensvoller Treue und großherziger Kreativität auf die Zukunft zu schauen, die heute beginnt. Die Geschichte von Loppiano steht erst ganz am Anfang. Ihr steht am Anfang. Sie ist ein kleines Samenkorn, das in die Ackerfurchen der Welt gesät wurde und bereits üppig aufgekeimt ist, das jedoch starke Wurzeln schlagen und reiche Früchte tragen muss, im Dienst der Sendung der Verkündigung und der Fleischwerdung des Evangeliums Jesu, die die Kirche heute aufgerufen ist zu leben. Und das verlangt Demut, Offenheit, Zusammenwirken, Risikobereitschaft. Wir müssen all das gebrauchen: Demut und Risikobereitschaft und gleichzeitig Offenheit und Zusammenwirken. Die oft dramatischen Notwendigkeiten, die uns von allen Seiten herausfordern, dürfen uns nicht ruhig bleiben lassen, sondern verlangen uns das Maximum ab, immer im Vertrauen auf die Gnade Gottes.
Im Epochenwandel, den wir erleben – es ist keine Epoche des Wandels, sondern ein Epochenwandel –, muss man sich nicht nur für die Begegnung zwischen Menschen, Kulturen und Völkern und für einen Bund zwischen den Zivilisationen einsetzen, sondern dafür, alle gemeinsam die epochale Herausforderung zu überwinden, eine gemeinsame Kultur der Begegnung und eine globale Zivilisation des Bundes aufzubauen. Wie ein farbenfroher Regenbogen, in dem sich das weiße Licht der Liebe Gottes fächerförmig entfaltet. Und um das zu tun, braucht es Männer und Frauen – junge Menschen, Familien, Menschen aus allen Berufungen und Berufen –, die in der Lage sind, neue Wege zu entwerfen und gemeinsam zu beschreiten. Das Evangelium ist immer neu, immer. Und in dieser Osterzeit hat die Kirche uns oft gesagt, dass die Auferstehung Jesu uns Jugend bringt und uns um diese erneuerte Jugend bitten lässt. Immer vorangehen mit Kreativität. Die Herausforderung ist die der schöpferischen Treue: der ursprünglichen Inspiration treu sein und gleichzeitig offen sein für das Wehen des Heiligen Geistes und mit Mut die neuen Wege gehen, die er uns vorschlägt. Für mich – und ich rate euch, es auch zu tun – ist das größte Beispiel das, von dem wir in der Apostelgeschichte lesen: zu schauen, wie sie in der Lage waren, der Lehre Jesu treu zu bleiben und den Mut zu haben, viele »Verrücktheiten« zu machen, denn sie haben sie gemacht, indem sie überall hingegangen sind. Warum? Sie haben es verstanden, diese schöpferische Treue zu verbinden. Lest diesen Text der Heiligen Schrift, nicht einmal, sondern zwei, drei, vier, fünf oder sechs Mal, denn dort werdet ihr den Weg für diese schöpferische Treue finden. Der Heilige Geist, nicht unsere Vernunft, nicht unsere pragmatischen Fähigkeiten, nicht unsere stets beschränkte Sichtweise. Nein, vorwärtsgehen mit dem Hauch des Geistes.
Wie aber kann man den Heiligen Geist kennenlernen und ihm nachfolgen? Indem man die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung praktiziert. Das heißt, sich um den auferstandenen Jesus, den Herrn und Meister, zu versammeln, um das zu hören, was der Geist uns heute als christliche Gemeinschaft sagt (vgl. Apg 2,7) und um in dieser Atmosphäre gemeinsam den Ruf zu entdecken, den Gott uns in der geschichtlichen Situation, in der wir uns befinden, hören lässt, den Ruf das Evangelium leben. Man muss auf Gott hören, bis man mit ihm den Schrei des Volkes hört, und es bedarf des Hörens des Volkes, bis man dort den Willen atmet, zu dem Gott uns ruft. Die Jünger Jesu müssen Kontemplative des Wortes und Kontemplative des Gottesvolkes sein.
Wir sind alle aufgerufen, Baumeister der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung zu werden. Es ist nicht einfach, das zu tun, aber wir müssen es tun, wenn wir diese schöpferische Treue haben wollen, wenn wir dem Heiligen Geist gegenüber fügsam sein wollen. Das ist der Weg, damit auch Loppiano Schritt für Schritt den Weg Gottes im Dienst der Kirche und der Gesellschaft erkennt und ihm folgt. Bevor ich schließe, noch einen Dank an euch alle für den Empfang und das Fest! Und gleichzeitig liegt mir eine letzte Sache am Herzen, die ich euch sagen möchte. Wir sind hier versammelt vor dem Heiligtum »Maria Theotokos «. Wir stehen unter dem Blick Mariens. Auch darin besteht Harmonie zwischen dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Charisma der Fokolar-Bewegung, deren offizieller Name für die Kirche »Werk Mariens« ist. Am 21. November 1964, am Abschluss der dritten Sitzungsperiode des Konzils, erklärte der selige Paul VI. Maria zur »Mutter der Kirche«. Ich selbst habe in diesem Jahr den liturgischen Gedenktag errichtet, der am kommenden 21. Mai, dem Pfingstmontag, zum ersten Mal gefeiert wird.
Maria ist die Mutter Jesu, und sie ist in ihm die Mutter von uns allen: die Mutter der Einheit. Das ihr geweihte Heiligtum hier in Loppiano ist eine Einladung, uns in die Schule Mariens zu begeben, um Jesus kennenzulernen und mit Jesus und von Jesus zu leben, der in einem jeden von uns und unter uns gegenwärtig ist. Und vergesst nicht, dass Maria eine Frau im Laienstand war, sie war eine Frau im Laienstand. Die erste Jüngerin Jesu, seine Mutter, war eine Frau im Laienstand. Hier liegt eine große Inspiration. Und eine schöne Übung, die wir machen können – ich fordere euch auf, sie zu machen –, besteht darin, [im Evangelium] die konfliktgeladenen Abschnitte aus dem Leben Jesu zur Hand zu nehmen und zu sehen – wie in Kana zum Beispiel –, wie Maria reagiert. Maria meldet sich zu Wort und greift ein. »Aber Pater, [diese Episoden] stehen nicht alle im Evangelium…« Dann stell dir vor, stell dir vor, dass die Mutter dort war, dass sie dies gesehen hat… Wie hätte Maria darauf reagiert? Das ist eine wahre Schule, um voranzugehen. Denn sie ist die Frau der Treue, die Frau der Kreativität, die Frau des Mutes, der »parrhesia«, die Frau der Geduld, die Frau des Ertragens. Schaut immer darauf, wie diese Frau im Laienstand, diese erste Jüngerin Jesu in allen konfliktgeladenen Episoden des Lebens ihres Sohnes reagiert hat. Es wird euch sehr helfen. Und vergesst nicht, für mich zu beten, denn ich brauche es. Danke!
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