APOSTOLISCHES SCHREIBEN
IN FORM EINES »MOTU PROPRIO«
ZUR ERKLÄRUNG DER HL. BIRGITTA VON SCHWEDEN,
DER HL. KATHARINA VON SIENA UND
DER HL. TERESIA BENEDICTA A CRUCE
ZU MITPATRONINNEN EUROPAS
JOHANNES PAUL II.
ZU IMMERWÄHRENDEM GEDENKEN
1. Die Hoffnung auf den Aufbau einer gerechteren und menschenwürdigeren Welt, eine Hoffnung, die von der Erwartung des nunmehr vor der Tür stehenden dritten Jahrtausends noch angefacht wird, muß von dem Bewußtsein getragen sein, daß menschliche Anstrengungen nichts nützen würden, wenn sie nicht von der göttlichen Gnade begleitet wären: »Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut« (Ps 127,1). Dem müssen auch alle Rechnung tragen, die in diesen Jahren vor dem Problem stehen, Europa eine neue Ordnung zu geben, die dem alten Kontinent helfen soll, sich durch Beseitigung des traurigen Erbes der Vergangenheit die Reichtümer seiner Geschichte zunutze zu machen, um mit einer in den besten Traditionen verwurzelten Originalität auf die Erfordernisse der sich wandelnden Welt zu antworten.
In der Gesamtgeschichte Europas stellt das Christentum zweifellos ein zentrales und prägendes Element dar, das sich auf dem starken Fundament des klassischen Erbes und der vielfältigen Beiträge gefestigt hatte, die von den im Laufe der Jahrhunderte aufeinanderfolgenden unterschiedlichen ethnisch-kulturellen Strömungen eingebracht wurden. Der christliche Glaube hat die Kultur des Kontinents geformt und sich mit seiner Geschichte so unlösbar verflochten, daß diese gar nicht verständlich wäre, würde man nicht auf die Ereignisse verweisen, die zunächst die große Zeit der Evangelisierung und dann die langen Jahrhunderte geprägt haben, in denen sich das Christentum, wenn auch in der schmerzlichen Spaltung zwischen Orient und Okzident, als die Religion der Europäer durchgesetzt hat. Auch in Neuzeit und Gegenwart, wo die religiöse Einheit sowohl infolge weiterer Spaltungen unter den Christen als auch wegen der Loslösungsprozesse der Kultur vom Horizont des Glaubens mehr und mehr zerbröckelte, kommt der Rolle des Glaubens auch weiterhin eine wichtige Bedeutung zu.
Der Weg in die Zukunft muß dieser Gegebenheit Rechnung tragen. So sind die Christen aufgerufen, sich des Glaubens neu bewußt zu werden, um zu zeigen, was er an Möglichkeiten ständig in sich birgt. Sie haben die Pflicht, zum Aufbau Europas einen besonderen Beitrag zu leisten. Dieser wird um so wertvoller und wirksamer sein, je mehr es den Christen gelingt, sich selbst im Lichte des Evangeliums zu erneuern. Auf diese Weise werden sie jene lange Geschichte der Heiligkeit fortführen, welche die verschiedenen Regionen Europas im Laufe dieser zweitausend Jahre durchzogen hat, in denen die offiziell anerkannten Heiligen nur die als Vorbilder für alle Menschen ausgewiesenen Höhepunkte sind. Denn zahllos sind die Christen, die durch ihr von der Liebe zu Gott und zum Nächsten beseeltes, rechtschaffenes und aufrichtiges Leben in den verschiedensten Berufen als Geistliche, Ordensleute und Laien eine Heiligkeit erlangt haben, die in ihrer Verborgenheit echt und weit verbreitet war.
2. Die Kirche zweifelt nicht daran, daß gerade dieser Schatz der Heiligkeit das Geheimnis ihrer Vergangenheit und die Hoffnung ihrer Zukunft ist. In ihm drückt sich nämlich am besten das Geschenk der Erlösung aus, durch das der Mensch von der Sünde befreit wird und die Möglichkeit zu einem neuen Leben in Christus erhält. In ihm findet das Volk Gottes auf seinem Weg durch die Zeit eine unvergleichliche Stütze, fühlt es sich doch zutiefst mit der verherrlichten Kirche verbunden, die im Himmel dem Lamm den Lobpreis singt (vgl. Offb 7,9–10), während sie für die noch auf Erden pilgernde Gemeinschaft Fürbitte einlegt. Darum hat das Volk Gottes seit ältesten Zeiten die Heiligen als Beschützer angesehen. Durch eine einzigartige Gepflogenheit, an der sicher der Einfluß des Heiligen Geistes nicht unbeteiligt war, wurden dann die einzelnen Kirchen, Regionen und sogar Kontinente dem besonderen Schutz einiger Heiliger anvertraut. Manchmal geschah es auf Drängen der Gläubigen, dem die Bischöfe nachgaben, dann wieder auf Initiative der Bischöfe selbst.
Da gerade die Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa tagt, schien mir aus der oben gezeichneten Perspektive und angesichts des bevorstehenden Großen Jubiläums des Jahres 2000, daß die europäischen Christen aus der Betrachtung und der Anrufung mancher Heiliger, die auf ihre Weise besonders repräsentativ für ihre Geschichte sind, geistlichen Nutzen ziehen könnten. Die Christen in Europa erleben ja zusammen mit ihren Mitbürgern einen epochalen Übergang, der zwar reich an Hoffnung, aber zugleich nicht frei von Sorgen ist. Ich habe mir daher nach entsprechender Beratung überlegt, das zu vollenden, was ich am 31. Dezember 1980 begonnen habe, als ich zwei Heilige des ersten Jahrtausends, die Brüder Cyrill und Methodius, als Pioniere der Evangelisierung Osteuropas dem hl. Benedikt an die Seite stellte und zu Mitpatronen Europas erklärte. So will ich nunmehr die Schar der himmlischen Schutzpatrone durch drei Gestalten ergänzen, die gleichfalls als Sinnbilder für entscheidende Augenblicke des zu Ende gehenden zweiten Jahrtausends stehen: die hl. Birgitt a von Schweden, die hl. Katharina von Siena und die hl. Teresia Benedicta a Cruce (Edith Stein). Drei große Heilige, drei Frauen, die sich in verschiedenen Epochen – zwei im Hochmittelalter und eine in unserem Jahrhundert – durch die tatkräftige Liebe zur Kirche Christi und durch das Zeugnis für sein Kreuz ausgezeichnet haben.
3. Das Panorama der Heiligkeit ist natürlich so vielfältig und reich, daß die Wahl neuer himmlischer Schutzpatrone auch auf andere sehr würdige Gestalten hätte fallen können, deren sich jede Epoche und jede Region rühmen dürfen. Im Rahmen der von der Vorsehung bestimmten Tendenz, die sich in Kirche und Gesellschaft unserer Zeit durch die immer klarere Anerkennung der Würde und der eigentlichen Gaben der Frau durchgesetzt hat, halte ich jedoch die Option für diese Heiligkeit mit weiblichem Antlitz für besonders bedeutsam.
In Wirklichkeit hat es die Kirche von ihren Anfängen an nicht versäumt, die Rolle und Sendung der Frau anzuerkennen, auch wenn sie sich bisweilen von den Bedingtheiten einer Kultur beeinflussen ließ, die der Frau nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit schenkte. Doch die christliche Gemeinschaft ist auch in dieser Hinsicht allmählich gereift, und gerade die von der Heiligkeit entfaltete Rolle hat sich dafür als entscheidend erwiesen. Ein ständiger Impuls ist vom Bild Mariens, der »idealen Frau«, der Mutter Christi und der Kirche, ausgegangen. Aber auch der Mut der Märtyrinnen, die mit erstaunlicher Seelenkraft die grausamsten Qualen auf sich genommen haben, das Zeugnis der Frauen, die sich mit beispielhafter Radikalität zum asketischen Leben verpflichtet haben, die tägliche Hingabe so vieler Ehefrauen und Mütter in der Familie als »Hauskirche«, die Charismen so vieler Mystikerinnen, die zur theologischen Vertiefung beigetragen haben: Sie alle haben der Kirche eine wertvolle Anleitung dafür gegeben, den Plan, den Gott für die Frauen hat, voll zu erfassen. Seinen unmißverständlichen Ausdruck findet dieser Plan übrigens bereits auf einigen Seiten der Heiligen Schrift und besonders in der im Evangelium bezeugten Haltung Christi. Auf dieser Linie liegt auch die Wahl, die hl. Birgitta von Schweden, die hl. Katharina von Siena und die hl. Teresia Benedicta a Cruce zu Mitpatroninnen Europas zu erklären.
Der Grund, der dann mein besonderes Augenmerk auf diese Frauen gelenkt hat, liegt in deren Leben. Ihre Heiligkeit äußerte sich nämlich unter historischen Gegebenheiten und im Rahmen »geographischer« Räume, die sie für den europäischen Kontinent besonders bedeutsam erscheinen lassen. Die hl. Birgitta ver weist auf den äußersten Norden Europas, wo sich der Kontinent mit den übrigen Teilen der Welt gleichsam zu einer Einheit verbindet; von dort ist sie aufgebrochen, um schließlich in Rom ihr Ziel zu finden. Auch Katharina von Siena ist wegen der Rolle bekannt, die sie damals, als der Nachfolger Petri in Avignon residierte, durch die Vollendung eines geistlichen Werkes spielte, das bereits die hl. Birgitta begonnen hatte: Denn sie hatte die Rückkehr des Papstes an seinen eigentlichen Sitz in der Nähe des Grabes des Apostelfürsten gefördert. Die erst vor kurzem heiliggesprochene Teresia Benedicta a Cruce schließlich verbrachte nicht nur ihr Leben in verschiedenen Ländern Europas, sondern schlug mit ihrer ganzen Existenz als Denkerin, Mystikerin und Märtyrerin gleichsam eine Brücke zwischen ihren jüdischen Wurzeln und der Zugehörigkeit zu Christus. Sie tat es, indem sie mit sicherer Intuition im Dialog mit dem modernen philosophischen Denken stand und indem sie schließlich durch ihr Martyrium in der entsetzlichen und beschämenden »Shoah« die Gründe gleichsam herausschrie, die für Gott und den Menschen sprechen. So ist sie zum Ausdruck einer menschlichen, kulturellen und religiösen Pilgerschaft geworden, die den tiefen Kern der Tragödie und der Hoffnungen des europäischen Kontinents verkörpert.
4. Die erste dieser drei großen Gestalten, Birgitta, stammte aus einer Adelsfamilie und wurde im Jahr 1303 in Finsta in der schwedischen Region Uppland geboren. Sie ist vor allem als Mystikerin und Gründerin des Ordens des Heiligsten Erlösers bekannt. Man darf jedoch nicht vergessen, daß sie in der ersten Lebenshälfte dem Laienstand angehörte und mit einem frommen Christen glücklich verheiratet war, von dem sie acht Kinder hatte. Wenn ich auf sie als Mitpatronin Europas hinweise, möchte ich damit bewirken, daß sich ihr nicht nur diejenigen nahe fühlen, die die Berufung zu einem besonderen geistlichen Stand empfangen haben, sondern auch jene, die als Laien ihren gewöhnlichen Tätigkeiten in der Welt nachgehen und denen vor allem die hohe und verpflichtende Berufung zukommt, eine christliche Familie zu bilden. Ohne sich vom Wohlstandsleben ihrer gesellschaftlichen Klasse beirren zu lassen, lebte Birgitta mit ihrem Gemahl Ulf die Erfahrung eines Ehepaares, bei dem sich die eheliche Liebe mit intensivem Gebet, Studium der Heiligen Schrift, Abtötung und Nächstenliebe verband. Gemeinsam gründeten die Eheleute ein kleines Spital, wo sie häufig den Kranken Beistand leisteten. Birgitta hatte es sich sodann zur Gewohnheit gemacht, persönlich den Armen zu dienen. Zugleich wurde sie wegen ihrer pädagogischen Gaben geschätzt, die sie besonders dann entfalten konnte, wenn man sie am Hof von Stockholm um ihren Dienst ersuchte. Aus dieser Erfahrung sollten die Ratschläge heranreifen, die sie bei verschiedenen Gelegenheiten Fürsten und Herrschern für die richtige Erfüllung ihrer Aufgaben erteilte. Aber an erster Stelle kam diese Fähigkeit natürlich ihren Kindern zugute, und es ist kein Zufall, daß eine ihrer Töchter, Katharina, als Heilige verehrt wird.
Doch diese Periode ihres Familienlebens war nur eine erste Etappe. Die Wallfahrt nach Santiago de Compostela, die sie 1341 zusammen mit ihrem Ehemann Ulf unternahm, bildete den symbolischen Abschluß dieser Phase. Für Birgitta war sie die Vorbereitung auf das neue Leben, das sie einige Jahre später begann, als sie nach dem Tod des Gatten die Stimme Christi vernahm, der ihr eine neue Sendung übertrug, während er sie durch eine Reihe außerordentlicher mystischer Gnaden Schritt für Schritt begleitete.
5. Nachdem sie 1349 Schweden verlassen hatte, ließ sich Birgitta in Rom nieder, dem Sitz des Nachfolgers Petri. Der Umzug nach Italien stellt einen Abschnitt in Birgittas Leben dar, der nicht für die geographische und kulturelle, sondern vor allem für die spirituelle Erweiterung ihres Geistes und Herzens entscheidend war. Viele Orte Italiens haben sie als Pilgerin gesehen, deren tiefster Wunsch es war, die Reliquien der Heiligen zu verehren. Orte, die davon erzählen können, sind: Mailand, Pavia, Assisi, Ortona, Bari, Benevento, Pozzuoli, Neapel, Salerno, Amalfi und das Heiligtum des hl. Erzengels Michael auf dem Monte Gargano. Die letzte Wallfahrt, die sie zwischen 1371 und 1372 unternahm, führte sie nach Überquerung des Mittelmeeres in Richtung Heiliges Land und gestattete ihr, außer den vielen heiligen Stätten des katholischen Europa die eigentlichen Quellen des Christentums gleichsam geistlich zu umarmen, die als Orte vom Leben und Tod des Erlösers geheiligt sind.
Noch mehr als durch dieses fromme Wallfahrten hat Birgitta aber durch den tiefen Sinn für das Geheimnis Christi und der Kirche in einem äußerst kritischen Augenblick ihrer Geschichte am Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft mitgewirkt. Die innige Verbundenheit mit Christus war nämlich begleitet von besonderen Offenbarungscharismen, die sie zu einem Bezugspunkt machte, an dem sich viele Personen der Kirche ihrer Zeit ausrichteten. In Birgitta spürt man die Kraft der Prophetie. Die Töne, die sie anschlägt, erscheinen manchmal wie ein Echo der Stimmen der großen alten Propheten. Sicher und entschlossen spricht sie zu Fürsten und Päpsten. Ihnen enthüllt sie die Pläne Gottes in bezug auf die geschichtlichen Ereignisse. Sie spart auch nicht mit strengen Ermahnungen, was die sittliche Erneuerung des christlichen Volkes und selbst des Klerus betrifft (vgl. Revelationes, IV. 49; vgl. auch IV, 5). Manche Aspekte ihres außergewöhnlichen mystischen Schaffens lösten in der damaligen Zeit verständliche Fragen aus. Ihnen gegenüber verwies die Prüfung durch die Kirche auf die einzige öffentliche Offenbarung, die in Christus ihre Erfüllung und in der Heiligen Schrift ihren maßgebenden Ausdruck gefunden hat. Denn auch die Erfahrungen der großen Heiligen sind nicht frei von jenen Grenzen, die den Empfang der Stimme Gottes durch den Menschen immer begleiten.
Es besteht jedoch kein Zweifel, daß die Kirche, als sie die Heiligkeit Birgittas anerkannte, die Authentizität ihrer inneren Erfahrung insgesamt billigte, auch ohne sich zu den einzelnen Offenbarungen zu äußern. Sie erscheint als eine bedeutende Zeugin des Raumes, den das Charisma in der Kirche haben kann, wenn es in voller Fügsamkeit gegenüber dem Geist Gottes und in voller Übereinstimmung mit den Ansprüchen der kirchlichen Gemeinschaft gelebt wird. Insbesondere nachdem sich die skandinavischen Länder, also die Heimat Birgittas, im Verlauf der traurigen Geschehnisse des 16. Jahrhunderts aus der vollen Gemeinschaft mit dem Römischen Stuhl losgelöst hatten, bleibt die Gestalt der schwedischen Heiligen ein wertvolles ökumenisches »Band«, das den Einsatz noch verstärkt, den ihr Orden in diesem Sinne leistet.
6. Nur wenig jünger ist die andere große Frauengestalt, die hl. Katharina von Siena, deren Rolle in den Entwicklungen der Kirchengeschichte und selbst bei der lehrmäßigen Vertiefung der geoffenbarten Botschaft tiefe Anerkennung gefunden hat, die in der Verleihung des Titels einer Kirchenlehrerin gipfelte.
Die 1347 in Siena geborene Katharina war von frühester Kindheit an mit außerordentlichen Gnaden ausgestattet, die es ihr erlaubten, auf dem vom hl. Dominikus vorgezeichneten geistlichen Weg zwischen Gebet, asketischer Strenge und Werken der Nächstenliebe rasch zur Vollkommenkeit voranzuschreiten. Sie war zwanzig Jahre alt, als Christus ihr durch das mystische Symbol des Brautringes seine besondere Liebe offenbarte. Es war die Krönung einer Vertrautheit, die in der Verborgenheit und Kontemplation, auch außerhalb der Mauern eines Klosters, durch das ständige Verweilen an jener geistlichen Wohnung herangereift war, die sie gern die »innere Zelle« nannte. Das Schweigen dieser Zelle, das Katharina für die göttlichen Eingebungen in hohem Maße bereit machte, konnte sich schon bald mit einem ganz außerordentlichen apostolischen Eifer verbinden. Viele Menschen, darunter auch Kleriker, sammelten sich als Schüler um sie und sprachen ihr die Gabe einer geistlichen Mutterschaft zu. Ihre Briefe verbreiteten sich in Italien, ja über ganz Europa. Denn die junge Frau aus Siena traf mit sicherem Ton und glühenden Worten den Kern der kirchlichen und gesellschaftlichen Probleme ihrer Zeit.
Mit unermüdlichem Einsatz verwendete sich Katharina für die Lösung der vielfältigen Konflikte, von denen die Gesellschaft ihrer Zeit zerrissen wurde. Ihre Bemühungen um Friedensstiftung erreichten europäische Herrscher wie Karl V. von Frankreich, Karl von Durazzo, Elisabeth von Ungarn, Ludwig den Großen von Ungarn und Polen sowie Johanna von Neapel. Bedeutend war ihre Initiative zur Versöhnung der Stadt Florenz mit dem Papst. Indem sie die Parteien auf den »gekreuzigten Christus und die sanftmütige Maria« hinwies, zeigte sie, daß es für eine an den christlichen Werten orientierte Gesellschaft niemals einen Anlaß zu einem so schwerwiegenden Streit geben kann, daß man die Vernunft der Waffen den Waffen der Vernunft vorziehen darf.
7. Katharina wußte freilich genau, daß man nicht wirksam zu dieser Schlußfolgerung gelangen konnte, wenn nicht zuvor die Herzen von der Kraft des Evangeliums geformt worden waren. Daher rührt die Dringlichkeit der Reform der Gewohnheiten, die sie allen ohne Ausnahme vorschlug. Die Könige erinnerte sie daran, daß sie nicht regieren konnten, als wäre das Königreich ihr »Eigentum«: Vielmehr sollten sie sich bewußt sein, daß sie Gott über die Machtausübung Rechenschaft geben müssen. Aus diesem Wissen heraus sollten sie die Aufgabe annehmen, »die heilige und wahre Gerechtigkeit« dadurch zu erhalten, daß sie sich zu »Vätern der Armen« machen (vgl. Brief Nr. 235 an den König von Frankreich). Die Ausübung der Herrschergewalt war nämlich nicht von der Übung der Nächstenliebe zu trennen, die zugleich die Seele des persönlichen Lebens und der politischen Verantwortung ist (vgl. Brief Nr. 357 an den König von Ungarn).
Mit derselben Eindringlichkeit wandte sich Katharina an die Geistlichen jeden Ranges, um von ihnen die strengsten Konsequenzen im Leben und im pastoralen Dienst zu verlangen. Der freie, kraftvolle und eindringliche Ton, mit dem sie Priester, Bischöfe und Kardinäle ermahnt, macht Eindruck. Im Garten der Kirche – sagte sie – müßten die faulenden Pflanzen ausgerissen und durch frische, duftende »neue Pflanzen« ersetzt werden. Gestärkt durch ihre Vertrautheit mit Christus scheute sich die Heilige aus Siena nicht, selbst den Papst, den sie als »sanftmütigen Christus auf Erden« zärtlich liebte, mit aller Offenheit auf den Willen Gottes hinzuweisen, der ihm gebot, das von irdischer Vorsicht und weltlichen Interessen diktierte Zaudern und Zögern endlich aufzugeben und von Avignon nach Rom zum Petrusgrab zurückzukehren.
Mit derselben Leidenschaft opferte sich Katharina dafür auf, die Spaltungen abzuwenden, die sich bei der Papstwahl nach dem Tod Gregors XI. abzeichneten: Auch in dieser Situation appellierte sie noch einmal leidenschaftlich an die unverzichtbaren Gründe, die für den Erhalt der Gemeinschaft sprachen. Das war das höchste Ideal, an dem sie ihr ganzes Leben ausgerichtet hatte, während sie sich vorbehaltlos für die Kirche verzehrte. Das sollte sie selbst auf dem Sterbebett ihren geistlichen Kindern bezeugen: »Seid gewiß, meine Lieben, daß ich das Leben für die heilige Kirche hingegeben habe« (Seliger Raimondo da Capua, Leben der heiligen Katharina von Siena, Lib. III, c. IV).
8. Mit Edith Stein — der hl. Teresia Benedict a a Cruce — befinden wir uns in einem ganz anderen historisch-kulturellen Umfeld. Sie führt uns nämlich mitten in unser geplagtes Jahrhundert. Aus dieser Gestalt werden die Hoffnungen deutlich, die das Jahrhundert entzündet hat, aber auch die Widersprüche und das Scheitern, die es gekennzeichnet haben. Edith kommt nicht, wie Birgitta und Katharina, aus einer christlichen Familie. Alles in ihr drückt die Qual der Suche und die Mühsal der existentiellen »Pilgerschaft« aus. Auch nachdem sie im Frieden des kontemplativen Lebens bei der Wahrheit angekommen war, mußte sie das Geheimnis des Kreuzes bis zum Letzten leben.
Edith wurde 1891 in einer jüdischen Familie in der Stadt Breslau geboren, die damals deutsches Staatsgebiet war. Aufgrund des Interesses, das sie für die Philosophie entwickelte, während sie die religiöse Praxis, in die sie von der Mutter eingeführt worden war, aufgab, hätte man bei ihr eher mit einem Leben im Zeichen des reinen »Rationalismus« gerechnet als mit einem Weg der Heiligkeit. Aber die Gnade erwartete sie gerade auf den verschlungenen Wegen des philosophischen Denkens: Als sie den Weg der phänomenologischen Richtung einschlug, meinte sie, darin die Instanz einer objektiven Wirklichkeit zu erfassen, die keineswegs beim Subjekt endet, sondern vielmehr dessen Erkenntnis vorausgeht, sie ausmißt und deshalb mit strengem Bemühen um Objektivität geprüft werden muß. Man muß sich in diese objektive Wirklichkeit hineinhören, indem man sie vor allem im Menschen erfaßt. Dies geschieht mit Hilfe jenes Einfühlungsvermögens, das »Empathie« heißt (ein Wort, das Edith Stein sehr teuer war) und einem erlaubt, sich das von anderen Erlebte gewissermaßen zu eigen zu machen (vgl. Edith Stein, Das Problem der Empathie).
In dieser Spannung des Hinhörens traf sie sich einerseits mit den Zeugnissen der christlichen spirituellen Erfahrung, wie sie die hl. Theresa von Avila und andere große Mystiker boten, deren Jüngerin und eifrige Nachahmerin sie wurde. Andererseits berührte sie damit die alte Überlieferung des christlichen Denkens, die im Thomismus eine feste Form erhalten hatte. Auf diesem Weg gelangte Edith zunächst zur Taufe, um sich dann für das kontemplative Leben im Karmelitinnenorden zu entscheiden. Das alles spielte sich im Rahmen eines ziemlich bewegten Lebensweges ab, der außer von der inneren Suche auch von Forschungs- und Lehrverpflichtungen geprägt war, die sie mit bewundernswerter Hingabe erfüllte. Besonders anerkennenswert in der damaligen Zeit war ihr aktives, ja geradezu kämpferisches Eintreten für die gesellschaftliche Förderung der Frau. Wirklich eindringlich sind die Abschnitte in ihren Schriften, wo sie den Reichtum des Frauseins und die Sendung der Frau unter menschlichem und religiösem Gesichtspunkt untersucht hat (vgl. E. Stein, Die Frau. Ihre Aufgabe gemäß Natur und Gnade).
9. Die Begegnung mit dem Christentum veranlaßte sie nicht dazu, ihren jüdischen Wurzeln abzuschwören, sondern bewirkte, diese in ihrer ganzen Fülle wiederzuentdecken. Das ersparte ihr jedoch nicht das Unverständnis von seiten ihrer Angehörigen. Unsagbaren Schmerz bereitete ihr vor allem die von ihrer Mutter zum Ausdruck gebrachte Mißbilligung. In Wirklichkeit vollzog sich ihr Weg christlicher Vervollkommnung nicht nur im Zeichen der menschlichen Solidarität mit ihrem Volk, sondern auch einer echten geistlichen Teilhabe an der Berufung der Kinder Abrahams, die das Zeichen des Geheimnisses der Berufung und der »unwiderruflichen Gaben« Gottes in sich tragen (vgl. Röm 11, 29).
Sie machte sich insbesondere das Leiden des jüdischen Volkes zu eigen, je mehr sich dieses in jener grausamen nazistischen Verfolgung zuspitzte, die neben anderen schwerwiegenden Äußerungen des Totalitarismus einer der dunkelsten Schandflecke Europas in unserem Jahrhundert bleibt. Da ahnte sie, daß in der systematischen Ausrottung der Juden ihrem Volk das Kreuz Christi aufgebürdet wurde. Als persönliche Teilhabe an diesem Kreuz erlebte sie ihre eigene Deportation und Hinrichtung in dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Ihr Schrei verschmilzt mit dem aller Opfer jener schrecklichen Tragödie. Vorher hat er sich jedoch mit dem Schrei Christi vereint, der dem menschlichen Leiden eine geheimnisvolle, ewige Fruchtbarkeit verspricht. Das Bild ihrer Heiligkeit bleibt für immer mit dem Drama ihres gewaltsamen Todes verbunden, an der Seite der vielen, die ihn zusammen mit ihr erlitten haben. Dieses Bild bleibt als Verkündigung des Evangeliums vom Kreuz, in das sie mit dem von ihr als Ordensfrau gewählten Namen hineingenommen sein wollte.
Wir blicken heute auf Teresia Benedicta a Cruce. In ihrem Zeugnis als unschuldiges Opfer erkennen wir einerseits die Nachahmung des Opferlammes und den Protest, der sich gegen alle Vergewaltigungen der Grundrechte der Person erhebt, andererseits das Unterpfand für jene neu belebte Begegnung zwischen Juden und Christen, die auf der vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewünschten Linie eine vielversprechende Zeit gegenseitiger Öffnung erfährt. Wenn heute Edith Stein zur Mitpatronin Europas erklärt wird, soll damit auf dem Horizont des alten Kontinents ein Banner gegenseitiger Achtung, Toleranz und Gastfreundschaft aufgezogen werden, das Männer und Frauen einlädt, sich über die ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschiede hinaus zu verstehen und anzunehmen, um eine wahrhaft geschwisterliche Gemeinschaft zu bilden.
10. Europa soll also wachsen! Es soll wachsen als Europa des Geistes auf dem Weg seiner besseren Geschichte, die gerade in der Heiligkeit ihren erhabensten Ausdruck findet. Die Einheit des Kontinents, die im Bewußtsein der Menschen allmählich reift und sich auch in politischer Hinsicht immer klarer abzeichnet, verkörpert gewiß eine sehr hoffnungsvolle Perspektive. Die Europäer sind aufgerufen, die historischen Rivalitäten, die ihren Kontinent oft zur Bühne verheerender Kriege gemacht haben, endgültig hinter sich zu lassen. Gleichzeitig müssen sie sich darum bemühen, die Bedingungen für einen größeren Zusammenhalt und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu schaffen. Vor ihnen liegt die große Herausforderung, eine Kultur und eine Ethik der Einheit aufzubauen. Denn wenn diese fehlen, ist jede Politik der Einheit früher oder später zum Scheitern verurteilt.
Um das neue Europa auf solide Grundlagen zu stellen, genügt es sicher nicht, nur an die wirtschaftlichen Interessen zu appellieren, die manchmal zusammenführen und dann wieder spalten. Vielmehr gilt es, die für Europa authentischen Werte zu betonen, deren Fundament das in das Herz eines jeden Menschen eingeschriebene allgemeine Sittengesetz ist. Ein Europa, das den Wert der Toleranz und der allgemeinen Achtung mit ethischem Indifferentismus und Skeptizismus in bezug auf die unverzichtbaren Werte verwechselte, würde sich den riskantesten Abenteuern öffnen und früher oder später die erschreckendsten Gespenster seiner Geschichte in neuer Gestalt wiederauftauchen sehen.
Um diese Bedrohung zu bannen, erweist sich wieder einmal die Rolle des Christentums als lebenswichtig. Denn es weist unermüdlich auf den idealen Horizont hin. Auch im Lichte der vielfältigen Berührungspunkte mit den anderen Religionen, die das Zweite Vatikanische Konzil erkannt hat (vgl. Dekret Nostra aetate), muß man nachdrücklich betonen, daß die Öffnung für das Transzendente eine lebenswichtige Dimension der Existenz ausmacht. Es kommt daher wesentlich auf ein erneuertes engagiertes Zeugnis aller Christen an, die in den verschiedenen Nationen des Kontinents leben. Ihnen ist es aufgetragen, die Hoffnung auf das vollkommene Heil zu nähren durch die Verkündigung des Evangeliums, das heißt der »Frohbotschaft«, daß Gott zu uns gekommen ist und uns in seinem Sohn Jesus Christus die Erlösung und die Fülle des göttlichen Lebens angeboten hat. Kraft des Geistes, der uns geschenkt wurde, können wir unseren Blick zu Gott erheben und ihn mit dem vertraulichen Namen »Abba«, Vater, anrufen (vgl. Röm 8, 15; Gal 4,6).
11. Genau diese Verkündigung der Hoffnung wollte ich stärken, indem ich diese drei großen Frauengestalten, die in verschiedenen Epochen einen so bedeutenden Beitrag zum Wachstum nicht nur der Kirche, sondern auch der Gesellschaft geleistet haben, in »europäischer« Sicht zu neuer Verehrung empfehle.
Durch jene Gemeinschaft der Heiligen, die auf geheimnisvolle Weise die irdische mit der himmlischen Kirche verbindet, nehmen sie sich in ihrer ewigen Fürbitte vor dem Thron Gottes unser an. Zugleich müssen die innigere Anrufung sowie die eifrigere und sorgfältigere Rückbindung an ihre Worte und ihr Vorbild in uns wieder ein schärferes Bewußtsein unserer gemeinsamen Berufung zur Heiligkeit wecken.So werden wir angespornt, Vorsätze zu hochherzigerem Einsatz zu fassen.
Nach reiflicher Überlegung ernenne und erkläre ich daher kraft meiner apostolischen Vollmacht die hl. Birgitta von Schweden, die hl. Katharina von Siena und die hl. Teresia Benedicta a Cruce zu himmlischen Mitpatroninnen bei Gott für ganz Europa. Gleichzeitig gewähre ich ihnen alle Ehren und liturgischen Privilegien, die den Hauptpatronen der Orte rechtmäßig zustehen.
Gepriesen sei die Allerheiligste Dreifaltigkeit, die in ihrem Leben und im Leben aller Heiligen in einzigartiger Weise aufstrahlt. Friede sei den Menschen guten Willens in Europa und in der ganzen Welt.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 1. Oktober 1999, dem einundzwanzigsten Jahr meines Pontifikates.
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