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PASTORALBESUCH IN ÖSTERREICH

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
BEI DER ÖKUMENISCHEN BEGEGNUNG IN DER CHRISTUSKIRCHE

Salzburg - Sonntag, 26. Juni 1988

 

Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

1. ”Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“. 

So haben wir es eben im Evangelium vernommen, unter dessen Anspruch wir uns alle bei dieser brüderlichen Begegnung stellen wollen. Jener Auftrag des Herrn an die Apostel gilt für alle Zeit. Immer wieder geschieht ein Pfingstwunder: Menschen aus vielen Völkern und Kulturen können das Evangelium hören und verstehen und kommen zum Glauben. Sie bekehren sich zu Christus, der ”unser Friede“ ist, der den ”neuen Menschen“ schafft und durch sein Kreuz alles, was getrennt ist, ”mit Gott in einem einzigen Leib versöhnt“. Als getaufte Christen dürfen wir uns ”als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus“. 

Das ist unser gemeinsames Bekenntnis; aus diesem österlichen Auftrag leben wir in allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, denen wir durch unsere Taufe jeweils angehören. Wir sind berufen, Zeichen und Werkzeug jenes Friedens und jener Einheit unter den Menschen zu sein, die nur Gott selber in Fülle schenken kann und die er in seinem Reich vollenden wird. Dies verpflichtet uns, auch unter uns Christen die Einheit – bis zu ihrer vollen sichtbaren Gestalt – zu suchen und zu erneuern.

2. Diese wertvolle Stunde unserer Begegnung ist selbst ein Zeichen jener Einheit, die uns im Hören auf das Wort Gottes, im Glauben an den dreieinigen Gott und im Leben aus der Taufgnade schon geschenkt ist: Als Söhne und Töchter des einen Vaters im Himmel sind wir im Heiligen Geist versammelt, um Gott in Jesus Christus die Ehre zu geben. Ich danke den evangelischen Glaubensbrüdern und Schwestern in Österreich für die freundliche Einladung in diese Christuskirche, die ich gern angenommen habe.

Besonderen Dank sage ich für den Willkommensgruß der Gemeinde dieser Kirche und das Grußwort des Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich. Ebenso danke ich Ihnen, hochwürdigster Herr Metropolit, für Ihr freundliches Wort der Begrüßung. Mit Freude erinnere ich mich an meine Begegnung mit dem ökumenischen Patriarchen Dimitrios I. von Konstantinopel im Dezember vorigen Jahres in Rom. Danken möchte ich auch Ihnen, Herr Superintendent, der Sie die Bedeutung der heutigen Begegnung herausgestellt haben, sowie Ihnen, Herr Bischof, für Ihre Predigt, in der Sie uns das Wort Gottes ausgelegt haben. Schließlich grüße ich herzlich auch Sie, verehrter Herr Erzbischof Berg, und die Mitbrüder der katholischen Bischofskonferenz sowie alle, die in der Gesinnung Christi diesen denkwürdigen Gottesdienst mit uns begehen.

3. Ein ökumenischer Gottesdienst ist wohl immer beides: eine Stunde der Freude und ein Anlaß des Schmerzes. Freude, weil uns dabei unsere gemeinsame Verbundenheit mit dem Herrn und Erlöser eindringlich bewußt wird; Schmerz, weil diese bereits vorhandene Einheit an der Wurzel noch nicht in die volle kirchliche Gemeinschaft einmündet. Aber es ist bereits eine kostbare Frucht des Heiligen Geistes, wenn wir diese Freude miteinander teilen und diesen Schmerz gemeinsam tragen.

Freude und Schmerz empfinden wir auch bei einem kurzen Rückblick in die Geschichte dieser Stadt Salzburg, die uns heute Gastfreundschaft gewährt. Irische Mönche haben hier den Glauben verkündigt und die Grundlage für eine intensive Missionstätigkeit dieser Ortskirche bis weit in den Osten und Süden Europas gelegt. Jene Gründerbischöfe und ihre Gefährten waren ihrerseits geprägt von der aszetischen und monastischen Tradition des christlichen Orients. Diese fernen Wurzeln des Glaubens sind heute neu als Aufgabe erkannt worden und haben unter anderen zur Gründung der Stiftung PRO ORIENTE geführt, die sich inzwischen von Wien aus auch auf Salzburg, Linz und Graz ausgeweitet hat. Diese lobenswerte ökumenische Initiative hat bereits beachtliche Früchte erbracht, die zu weiterer Hoffnung berechtigen.

In Salzburg begegnen wir aber auch der Reformation. Wir werden hier an die unrechtmäßige Vertreibung der hiesigen Protestanten im 18. und 19. Jahrhundert erinnert, die man damals in Anwendung des unseligen Prinzips ”Cuius regio – eius et religio“ glaubte durchführen zu müssen. Schon vor Jahren hat der Salzburger Erzbischof im Namen der ganzen Diözese die evangelischen Brüder und Schwestern um Vergebung für diese erlittene Unrecht gebeten. Daß wir heute hier, in der evangelischen Christuskirche, gemeinsam das Wort Gottes hören und miteinander im Namen Jesu beten, ist ein deutliches Zeichen dafür, daß diese Vergebungsbitte mit dem Herzen angenommen worden ist und zur Versöhnung geführt hat.

4. Einen besonderen ökumenischen Anstoß haben viele Christen auch in diesem Land auf ihrem gemeinsamen Leidensweg im letzten Weltkrieg erhalten. Obwohl von verschiedener kirchlicher Herkunft, haben sie, vor allem in der extremen Prüfung der Lager, ihre tiefe Verbundenheit im Kreuz Christi erfahren. Daraus sind ihnen in verstärktem Maße Einsicht und Bereitschaft zu gegenseitiger Verständigung und Wertschätzung erwachsen. Gemeinsam lebten sie damals die Botschaft, ”daß alle, die auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft sind“; gemeinsam waren sie aber auch stark in der Hoffnung, daß sie ”mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt“ sein würden. 

Ja, es ist der Herr selbst, der uns immer wieder anstößt, auf dem Weg zur Einheit weiter voranzuschreiten, auch wenn immer nur eine kleine Wegstrecke sichtbar wird. Nehmen wir in dieser Stunde sein Antlitz betrachtend in uns auf, wie es uns diese Christuskirche vor Augen fürht. Christus, der Herr der Welt – so über dem Eingang –, weist uns den Weg. Als Lehrer des Glaubens – an der Kanzel – spricht er zu uns in seinem Wort. Als der Gute Hirte zwischen Petrus und Johannes – im Fenster über uns – kennt er uns alle mit Namen und führt uns auf gute Weide. Vom Kreuz – am Altar – ruft Christus uns zur Versöhnung, die er uns durch sein Leiden bereits erwirkt hat.

Nur die liebende Vereinigung mit dem Herrn in seiner Hingabe und Treue bis zum Tod am Kreuz kann uns näher zur Einheit der Kirche führen. An seiner Gestalt des dienenden Knechtes lernen wir die erforderliche Demut, um der ganzen Wahrheit Gottes innezuwerden und ihr Leuchten auch im getrennten Bruder wahrzunehmen. Dort wo Paulus uns das Ideal der Einheit vor Augen stellt: ”Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater, der über allem und durch alles und in allem ist“ gerade dort mahnt er uns zuvor: ”Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“. 

5. Liebe Brüder und Schwestern! Mein zweiter Pastoralbesuch in Österreich steht unter dem Leitwort: ”Ja zum Glauben – Ja zum Leben“. Auch dieses Wort hat seine Grundlage in Christus selbst; denn ”in ihm ist das Ja verwirklicht. Er ist das Ja zu allem, was Gott verheissen hat... und Gott ist treu“.  Dieses Ja Gottes will durch unser gemeinsames Ja zum Glauben, durch unser gemeinsames Ja zum Leben verkündigt werden. Ein solches gemeinsames Ja aller Kirchen und Gemeinschaften möglichst oft zu finden und zu sprechen, ist unsere ökumenische Aufgabe.

Um das gemeinsame ”Ja zum Glauben“ zu finden, müssen wir über Stimmungen, Gefühle und noch so liebgewonnene Traditionen hinausgehen. Der Glaube an den dreifaltigen Gott und seine konkreten Heilswege kommt vom Hören und setzt Bekehrung voraus. Paulus ruft uns zu: ”Wandelt euch und erneuert euer Denken!“.  Wir dürfen dankbar feststellen, daß in den letzten Jahren manche verheißungsvolle Schritte zu einem solchen neuen Denken zu verzeichnen sind. Ich nenne nur die Konvergenzerklärung über ”Taufe, Eucharistie und Amt“, welche die Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen erarbeitet und vorgelegt hat. Das vatikanische Sekretariat für die Einheit der Christen hat im Zusammenwirken unter anderem mit der Kongregation für die Glaubenslehre die katholische Antwort auf dieses bedeutende Dokument ökumenischer Annäherung gegeben. Konvergenz heißt jedoch noch nicht Konsens. Neben der Würdigung der erzielten Übereinstimmungen sind dort auch manche weitere Fragen gestellt, denen wir uns in gläubiger Geduld noch zuwenden müssen.

6. So drängt die Eingliederung in den mystischen Leib Christi durch die Taufe gewiß auch hin zur Teilhabe an seinem eucharistischen Leib und Blut; die Frage nach der gemeinsamen Teilnahme an der Eucharistie hat aber auch eine ekklesiologische Dimension und kann nach katholischer Lehre nicht isoliert vom Verständnis des Geheimnisses der Kirche und ihres Amtes gesehen werden. Ich darf Ihnen versichern, daß es auch den Papst und die katholischen Bischöfe sehr schmerzt, wenn wir unsere Trennung unter Christen gerade am Tisch des Herrn so hart erfahren müssen. Besonders schmerzlich wird dieser Stachel in konfessionsverschiedenen Ehen empfunden, die ein gemeinsames Zeugnis des christlichen Glaubens ablegen wollen. An sie geht meine herzliche Bitte, zusammen mit ihren Seelsorgen nach Wegen eines lebendigen Glaubens zu suchen, die ihnen in ihrer besonderen Lage heute offenstehen.

In diesem Zusammenhang möchte ich aber in Demut und mit brüderlichem Freimut auch einmal fragen: Hat sich die evangelische Kirche schon genügend der Möglichkeit geöffnet, sich der sakramentalen Gestalt des geistlichen Amtes anzunähern, wie es die Überlieferung der katholischen Kirche in Ost und West seit den Anfängen als apostolisches Erbe und als Form der apostolisches Nachfolge versteht? Jeder Schritt in diese Richtung würde auch ein Schritt auf die volle eucharistische Gemeinschaft zu sein. Das Dienstamt des Petrus und seiner Nachfolger weiß sich gewiß in besonderer Weise der Einheit der Kirche verpflichtet; es untersteht jedoch zugleich dem bleibenden Anspruch des Evangeliums und der fortwährenden Führung des Geistes Christi. Wie bei meiner jüngsten Begegnung mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel möchte ich auch hier den Heiligen Geist inständig bitten, ”er möge uns, alle Hirten und die Theologen unserer Kirchen, erleuchten, damit wir gemeinsam nach Formen suchen, in denen diese Hirtenamt einen Dienst der Liebe verwirklichen kann, der von den einen und den anderen anerkannt wird“.

7. Eine ökumenische Aufgabe ist auch das gemeinsame christliche ”Ja zum Leben“. Christus, das ”Ja“ Gottes, ist gekommen, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben.  Unser ”Ja zum Leben“ muß deshalb ebenso umfassend sein und sich auf alle Dimensionen des menschlichen Lebens erstrecken. Anerkennend möchte ich darauf verweisen, daß es in letzter Zeit häufiger auch zu gemeinsamen Stellungnahmen der Kirchen zu aktuellen sozialethischen Problemen der Gesellschaft gekommen ist. Diesen Weg möchte ich ermutigen, auch wenn er zuweilen noch schwierig ist wegen unserer unterschiedlichen Auffassungen vom kirchlichen Lehramt und seiner konkreten Zuständigkeit.

In diesen Zusammenhang gehört auch die ”Ökumenische Weltversammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ zu der der Ökumenische Rat der Kirchen einlädt. Die katholische Kirche beteiligt sich, ohne selbst Mitveranstalterin zu sein, auf geeignete Weise durch sachkundige Vertreter an diesen Fragestellung. Ich hoffe, daß das gemeinsame, gehorsame Hören auf das Wort der Heiligen Schrift ermöglichen wird, von ihr her miteinander unserer Zeit Worte der Weisung zu solch zentralen Fragen der Zukunft von Mensch und Schöpfung zu sagen.

Seit jeher hat es ja die Kirche als Teil ihrer seelsorglichen Sendung betrachtet, die Grundrechte der menschlichen Person zu verteidigen und zu fördern und in prophetischer Weise Armut und Unterdrückung anzuprangern sowie mit konkreten Hilfsaktionen und in Modellen für deren Beseitigung einzutreten. Auch für die Sicherung des Friedens zwischen den Völkern der Welt sollten die friedenstiftenden Kräfte, die in einem weltweiten gemeinsamen Denken und Vorgehen der Christen liegen, heute in verstärktem Maße genutzt werden. Ebenso findet das ökologische Anliegen in unserem Glauben starke Ansatzpunkte zu Klärung und Wertung der damit verbundenen grundsätzlichen Fragen, weit vor jeder oberflächlichen Tagespolitik.

8. Liebe Mitchristen! Die Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Herrn, wie sie uns heute im Evangelium verkündigt worden ist, endet mit der Zusage Christi: ”Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“.  So sind wir gesandt zu intensivstem Einsatz für Gottes Wahrheit und Gerechtigkeit sowie für eine lebendige, einige Kirche als sein Weg zu den Menschen. Zugleich aber dürfen wir gelassen und geduldig an diese Aufgabe herangehen. Der Herr selbst ist es, der Glauben weckt, der Leben schenkt, der Einheit wirkt. Sein Heiliger Geist wird das Antlitz der Erde erneuern. Der Herr sei gepriesen in seiner Kirche, heute und alle Tage unseres Lebens. Amen.

 

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